Was sich kusst das liebt sich
Max? Hier ist Neve.« Sie drehte sich um und lehnte sich an die Karte der Londoner U-Bahn, genau wie damals, als er sie geküsst hatte. » Stör ich dich?«
» Was? Wer? Ich höre nichts«, brüllte Max. Den Hintergrundgeräuschen nach zu urteilen befand er sich gerade mitten in einem Faschingsumzug. » Moment!«
Neve wartete ab und begann leise zu zählen. Bei fünfzig würde sie auflegen.
» Tut mir leid. Wer ist dran?«, fragte Max, als sie bei siebenunddreißig war.
» Hier ist Neve«, wiederholte sie. » Entschuldige, dass ich so spät noch anrufe, noch dazu an einem Samstag.«
» Ach was, der Abend hat doch gerade erst begonnen«, winkte er ab. » Also, wie zum Henker geht es dir?«
» Och, ganz gut. Sehr gut.« Neve hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte. » Gratuliere, du hast den Posten als mein Pfannkuchenfreund« zu trällern, war wohl kaum die richtige Taktik. » Wie geht es dir?«
» Auch gut«, sagte Max. » Und, was gibt’s?«
Du musst bloß einen Satz zusammenstöpseln, der aus ungefähr zehn Wörtern besteht, mehr nicht, sagte sich Neve. » Ich wollte dich fragen, ob du vielleicht Lust auf ein Date hast… Mit mir, meine ich. Irgendwann nächste Woche… Sofern du Zeit hast.«
Kapitel 10
Zwölf Stunden später war Neve auf dem Weg zum Crouch End Broadway. Max hatte sie kurzerhand zum Brunch in die Italian Food Hall bestellt, da sie völlig außerstande gewesen war, einen Ort oder eine Zeit für ein Treffen vorzuschlagen.
Sie war nervös, verspürte aber längst nicht dieselbe Panik wie vor ihren bisherigen Verabredungen. Diesmal wusste sie wenigstens, was sie erwartete, soweit man das von einem derart wechselhaften Menschen wie Max behaupten konnte. Außerdem war es nur ein Date, und mittlerweile hatte sie ja praktisch massenhaft Dating-Erfahrung. Sobald sie es hinter sich gebracht hatte, konnte sie sich bei Waitrose ein Glas Bio-Oliven holen und dann im Secondhandladen und im Schreibwarengeschäft nach Büchern stöbern, sagte sich Neve, als sie um Punkt fünf nach zwölf vor dem Lokal stand.
Sie spähte durch die Fensterfront und über die Glastheke mit den Antipasti hinweg zu den Tischen, die sich dahinter befanden, konnte jedoch wegen der beschlagenen Scheiben kaum etwas erkennen. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als hineinzugehen und das volle Lokal nach ihm abzusuchen, bis sie ihn gefunden hatte. Sofern er sie nicht versetzt hatte.
Sie zögerte einen Moment, ehe sie die Tür öffnete. Dabei fiel ihr Blick auf den überdachten Sitzbereich neben dem Lokal, genauer gesagt, auf die einsame Gestalt, die dort mit einer Zeitung an einem der Tische saß. Die Gestalt hob den Kopf und winkte ihr zu.
Neve winkte zurück und marschierte zwischen den leeren Tischen hindurch auf ihn zu. Max erhob sich und beugte sich zu ihr hinunter, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben, und als sich Neve revanchieren wollte, stieß sie prompt mit der Nase an sein Kinn, weil sie mal wieder vergessen hatte, dass Celia und ihre Bekannten aus der Modebranche stets zwei Küsschen verteilten. Verlegen nahm sie Platz und fummelte an ihrer Handtasche herum.
» Tja, wer hätte das gedacht, dass wir zweimal ein Date haben würden?«, sagte Max leichthin.
Neve lächelte schwach und verfolgte, wie er ein schwarzes BlackBerry und ein iPhone in der Innentasche seiner Jacke verstaute. Nun, da sie ihn das erste Mal bei Tageslicht sah (auch wenn es reichlich trübe war), fiel ihr auf, dass seine Züge eine leicht exotische Note aufwiesen. Es mochte an den hohen, kantigen Wangenknochen oder am honigfarbenen Teint liegen, oder auch an den fast schwarzen Haaren, die sich vermutlich ungestüm lockten, wenn sie nicht mit tubenweise Haargel gebändigt wurden. Sie hatte schon vergessen, wie attraktiv er war. Zum Glück ließen ihn die blutunterlaufenen Augen mit den geschwollenen Lidern etwas weniger einschüchternd wirken.
Um nicht dabei ertappt zu werden, wie sie ihn anstarrte, schnappte sie sich die laminierte Speisekarte, was mit Wollhandschuhen gar nicht so einfach war. Warum saß er eigentlich hier draußen? Wollte er etwa nicht mit ihr in einem vollen Restaurant gesehen werden?
» Weißt du schon, was du nimmst?«, fragte er, und erst da bemerkte Neve die Kellnerin, die neben ihr stand.
Sie wollte eigentlich nur eine Kanne Tee bestellen, doch dann gab ihr Magen ein warnendes Knurren von sich. Normalerweise hätte sie bei einem Date oder vor Menschen, die nicht zu ihrer Familie gehörten, keinen Bissen zu sich
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