Was sich kusst das liebt sich
Stichwort schwang die Tür auf, und Max stand in Jeans und einem T-Shirt von The Clash vor ihr und musterte sie fragend. » Wie lange willst du hier noch rumstehen?«
Neve deutete auf ihr Handy und flüsterte: » Meine Mutter.«
» Ich weiß, Charlotte kann schwierig sein, Neve, und ich weiß auch, was du in der Schule alles mitgemacht hast, aber ihr lebt unter einem Dach, und es wäre alles viel einfacher, wenn du gewisse Dinge einfach mal ruhen lassen würdest.«
» Warum muss ausgerechnet ich diejenige sein, die…«
» Wenn du nicht den rechten Weg beschreitest… Ich kenne ihre Mutter, und du weißt, ich rede nicht gern schlecht über andere, aber diese Leute sind schrecklich gewöhnlich. Charlotte behauptet zwar, dass ihr Vater im Ausland lebt, aber es würde mich nicht überraschen, wenn er im Knast säße.«
» Okay, ich überleg’s mir«, brummte Neve, während Max ihr Rad die Treppe hinauftrug und im Flur an die Wand lehnte. » Können wir das jetzt bitte lassen?«
Es dauerte noch drei sehr lange Minuten, ehe ihre Mutter endlich auflegte, und hinterher war Neve völlig mit den Nerven fertig, weil Max die ganze Zeit danebengestanden hatte, während sie ein ums andere Mal » Mum? Mum, ich muss jetzt wirklich auflegen«, wiederholt hatte.
» Entschuldige«, stöhnte sie, sobald er die Tür hinter ihnen geschlossen hatte. Sie drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange und umarmte ihn unbeholfen, weniger wegen dem, was Chloe vorhin über ihn gesagt hatte, sondern weil sie etwas trostbedürftig war. » Ich habe Wein mitgebracht. Hier.«
» Arme Neve«, sagte Max mitfühlend. » Hat sie dir eine Standpauke gehalten?«
» Nein. Naja, irgendwie doch. Und davor hat sie mir einen Vortrag zum Thema Komasaufen gehalten.« Neve verdrehte die Augen und versuchte vergeblich, sich mit den Fingern durch die Haare zu fahren, denn die hatte sie sich zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, damit sie ihr beim Radfahren nicht ins Gesicht fielen. » Kann mein Rad hier stehen bleiben?«
Dem Klingelschild draußen nach zu urteilen wohnten nämlich mindestens fünf Parteien in dem Haus, sprich, die Chancen, dass sich jemand beschweren würde– wenn auch nicht ganz so nachdrücklich wie Charlotte–, waren relativ hoch.
» Ja, ja, kein Problem«, versicherte ihr Max und deutete auf die Treppe. » Zweite Etage. Los, komm, Keith ist schon den ganzen Nachmittag total außer Rand und Band.«
Sie folgte Max nach oben, gefesselt vom Anblick seiner langen, schlanken Beine und von dem schmalen Hautstreifen, der zwischen dem Hosenbund und dem T-Shirtsaum sichtbar wurde, als er einen Arm hob, um die Tür aufzuschließen. Keith schubste ihn sogleich unsanft zur Seite und umrundete Neve ein paar Mal, dann galoppierte er eine blau gestrichene Treppe hinauf und sah erwartungsvoll auf sie hinunter.
» Ich glaube, er will dir die Wohnung zeigen.« Max half Neve derweil aus der Jacke. » Ich komme gleich nach.«
Von der Treppe ging es scharf rechts in einen schmalen Flur, der in ein riesiges Wohnzimmer führte. Neve hielt kurz inne und sah sich um. Die knallblau gestrichenen Bodendielen waren etwas gewöhnungsbedürftig, also betrachtete sie erst einmal die Bilder an den strahlend weißen Wänden: über dem Kamin Andy Warhols Marilyn Monroe, an der gegenüberliegenden Wand das Konterfei der Queen mit dem Schriftzug Never Mind the Bollocks Here’s the Sex Pistols quer über dem Gesicht. Das Interieur entsprach ganz dem Klischee der modernen Jungesellenwohnung: schwarze Ledersitzgarnitur, gläserner Couchtisch, eine an die Doppelhelix erinnernde, künstlerisch gestaltete Stehlampe, sechs Lautsprecher, die an diversen Stellen an den Wänden montiert waren und ein riesiger Fernseher. Darunter ein Berg elektronischer Geräte.
Während sich bei ihr Bücher, Bücher und nochmals Bücher stapelten, hatte er Unmengen von Schallplatten, CD s und ordentlich katalogisierte Zeitschriften in den Regalen stehen. Es gab ein Bücherregal, auf das Neve geradewegs zusteuerte. Sie erwartete nicht, dass er dieselbe Art von Literatur las wie sie– es gab nicht viele Männer, die sich auf eBay um vergriffene Ausgaben der Virago Modern Classics rissen. Doch zu ihrer Überraschung besaß er nur Bildbände mit den Namen berühmter Modeschöpfer und Fotografen, aber keinerlei Romane, abgesehen von drei billig wirkenden Taschenbüchern mit Glitzer auf dem Einband. Sie griff zögernd nach einem davon. Tore und Tiffany von Mandy McIntyre. War das nicht
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