Was sich liebt, das küsst sich - Gibson, R: Was sich liebt, das küsst sich - Nothing but Trouble
abnehmbaren Duschkopf und stellte ihn auf Massage. Er richtete ihn auf seine Hüfte und ließ das heiße Wasser kräftig auf seine Muskeln prasseln. Es tat weh wie Sau, linderte aber den schlimmsten Schmerz. Als er fertig war, trocknete er sich ab und putzte sich die Zähne. Der Bartwuchs eines Tages verdunkelte Kinn und Wangen, doch statt sich zu rasieren, trat er in den riesigen begehbaren Schrank und zog sich eine blaue Nylon-Jogginghose und ein schlichtes weißes T-Shirt an. Er schlüpfte in schwarze Flip-Flops von Nike, weil es ihn zu viel Mühe kostete, sich Straßenschuhe anzuziehen. Gestern Morgen vor der Pressekonferenz hatte er ewig gebraucht, sich das Hemd zuzuknöpfen und sich die Schnürsenkel zuzubinden. Na ja, vielleicht nicht ewig , aber für Dinge, die er früher automatisch erledigt hatte, brauchte er jetzt viel mehr Konzentration und Zeit.
Er legte die Schiene an seiner rechten Hand an, zog sie fest und befestigte den Klettverschluss, bevor er sich den schwarzen Stock von der Couch schnappte, wo er gestern Abend gesessen hatte.
Die ursprünglichen Hausbesitzer hatten in einem großen Wandschrank am Ende des Flurs einen Dienstbotenfahrstuhl einbauen lassen. Mit Hilfe des Stocks lief Mark aus dem Schlafzimmer und an der Wendeltreppe vorbei, die er früher
bewältigt hatte, indem er zwei Stufen auf einmal nahm. Er blickte über das kunstvolle Geländer aus Schmiedeeisen und Holz, während er über den Treppenabsatz lief. Sonnenlicht strömte durch das schwere Bleiglas in den Fenstern des Eingangsbereichs und warf trübe Muster auf den Marmorboden in der unteren Etage. Er öffnete die Wandschranktür und fuhr mit dem kleinen Aufzug nach unten. Der Lift öffnete sich zur Küche hin, und er trat heraus. Er schüttete sich Wheaties in eine Schüssel und aß am Küchentisch, da er etwas im Magen haben musste, damit ihm von den vielen Medikamenten nicht schlecht wurde.
Solange er denken konnte, hatte er das »Frühstück der Champions« gegessen. Wahrscheinlich, weil sein Vater es sich hatte leisten können. Manchmal erinnerte er sich nicht mal mehr, was er vergangene Woche getan hatte, dafür aber genau daran, wie er am alten Küchentisch seiner Oma gesessen hatte, eine weiße Zuckerschüssel mitten auf dem gelben Tischtuch, und morgens vor der Schule Wheaties in sich reingeschaufelt hatte. Er erinnerte sich noch genau an jenen Morgen im Jahre 1980, als seine Großmutter die orangefarbene Schachtel auf den Tisch gestellt hatte und er die olympische Eishockeymannschaft darauf entdeckte. Ihm war fast das Herz stehen geblieben. Die Kehle hatte sich ihm zugeschnürt, als er auf Dave Silk, Neil Broten und die anderen Jungs geblickt hatte. Er war damals acht, und sie seine Helden. Seine Großmutter hatte ihm versichert, dass er werden konnte, was er wollte, wenn er mal groß war. Und er hatte ihr geglaubt. Es hatte nicht viel gegeben, woran er glaubte, aber seiner Großmutter Bressler glaubte er. Sie belog ihn nie. Tat sie noch immer nicht. Nicht mal, wenn es einfacher wäre. Als er einen Monat nach dem Unfall aus dem Koma
erwachte, war ihr Gesicht das Erste gewesen, was er wahrgenommen hatte. Sie hatte neben seinem Vater am Fußende des Bettes gestanden und ihm von dem Unfall erzählt. Ihm alle Verletzungen aufgezählt, von der Schädelfraktur bis zum Knochenbruch im großen Zeh. Nicht erwähnt hatte sie, dass er nie wieder Eishockey spielen würde, doch das war auch nicht nötig gewesen. Aufgrund der langen Liste seiner Verletzungen und des Ausdrucks in den Augen seines Vaters hatte er es auch so gewusst.
Von den zwei Erwachsenen in seinem Leben war seine Großmutter stets die Starke gewesen. Diejenige, die ihm Trost gespendet hatte, aber an jenem Tag im Krankenhaus hatte sie erschöpft und abgekämpft ausgesehen. Nach der Aufzählung seiner Verletzungen hatte sie ihm versichert, dass er noch immer sein konnte, was er wollte. Doch anders als an jenem Morgen vor dreißig Jahren hatte er ihr nicht mehr geglaubt. Er würde nie wieder Eishockey spielen, und sie wussten beide, dass das das Einzige war, was er je gewollt hatte.
Während er seine Schüssel ausspülte, schellte es laut an der Tür. Da er noch keinen Fahrer bestellt hatte, fiel ihm nur ein anderer Mensch ein, der so früh bei ihm aufkreuzen würde.
Er griff nach seinem Stock und lief aus der Küche durch den Flur. Noch bevor er den Eingangsbereich erreichte, sah er durch das gedeckte Glas ein Kaleidoskop aus Farben. Leicht schwankend zog er mit
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