Was sich liebt das raecht sich - Roman
Töne ohne Mühe hin.«
»Meinen Sie? Die höchste Note ist unglaublich schwer … stellen Sie sich vor, ich fange an zu krächzen …«
»Das wirst du ganz sicher nicht.« Pia schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Und wenn ich in den letzten Wochen streng gewesen bin, dann nur, weil du eins der größten Talente bist, denen ich jemals begegnet bin.«
Iris klappte vor Überraschung die Kinnlade herunter. Pia hatte ihr noch nie ein Kompliment gemacht, und sie hatte gelernt, ihre Reaktionen von der Art und Weise abzulesen, in der die Lehrerin die Augenbrauen zusammenzog. Wenn sie sichtbar waren, hieß das, dass sie schief gesungen hatte oder ihr die Interpretation von einem Lied aus irgendeinem Grund misslungen war. Wenn sie nicht zu sehen waren, wusste sie, sie hatte ihre Sache gut gemacht.
Jetzt versuchte Iris, möglichst ruhig und gleichmäßig zu atmen, und fragte sich flüchtig, was Ace Harrington
wohl gerade trieb. Seit sie ihm bei dem Rennen in Long Beach begegnet war, ging er ihr nicht mehr aus dem Kopf. Immer wieder hatte sie an seine anziehenden grauen Augen denken müssen, sich dann aber immer streng gesagt, er wäre ein Harrington und deswegen für sie tabu. Was ihn für sie jedoch aus irgendeinem Grund noch attraktiver werden ließ.
»Auf geht’s.«
Iris bekam einen leichten Stoß von ihrer Lehrerin versetzt, trat, ohne nachzudenken, auf die Bühne, schaffte es, obwohl die grellen Lichter furchtbar blendeten, ohne zu stolpern bis zum Mikrofon und klammerte sich zitternd daran fest. Sie konnte das Publikum kaum sehen, nahm allerdings die Tische und die Stühle sowie hin und wieder ein Gesicht, das sie nicht kannte, wahr. Irgendwo da draußen saß Luisa, aber Iris hatte ihr gesagt, dass sie sich nicht sehen lassen sollte, denn mit ihrem breiten Grinsen und mit ihren lauten Jauchzern brächte sie sie wahrscheinlich aus dem Konzept.
Einen Augenblick lang wurde sie starr vor Schreck. Auf der riesengroßen Bühne kam sie sich wie eine Zwergin vor. Da vorne saßen Hunderte, vielleicht sogar Tausende von gespannten Menschen, die nur darauf warteten, dass sie endlich sang. Statt eines CD-Spielers stand zu ihrer Begleitung eine eigene Liveband, vollständig mit Flügel, Schlagzeug und Gitarren, auf dem riesigen Podium. Sie spürte das Schlottern ihrer Knie, sagte sich dann aber, dass der Auftritt heute Abend eine einmalige Chance war.
Sie hörte die ersten Takte von Listen , konzentrierte sich, machte die Augen zu, versuchte, sich an alles zu erinnern, was ihr Pia in den letzten Wochen eingetrichtert hatte, öffnete den Mund und sang. Die ersten Noten klangen noch ein wenig zögerlich, doch der tosende Applaus, der ihre Stimme begrüßte, verlieh ihr neuen Mut, sie verlor
sich ganz in ihrem Lied, dachte daran zu atmen, als sie ihre von Natur aus etwas raue Stimme langsam immer höher steigen ließ, und als sie den höchsten Ton erreichte, sang sie ihn mit ganzer Kraft und hielt ihn, bis die Musik der Band verklang.
Atemlos öffnete sie die Augen wieder. Es gab donnernden Applaus, die Leute stampften mit den Füßen auf den Boden, und völlig überwältigt hauchte sie »D-danke« ins Mikrofon, stürzte, ohne daran zu denken, dass sie noch ein zweites Lied vortragen sollte, von der Bühne, wurde wenig sanft von Pia wieder nach vorn gescheucht und tauchte mit glühendem Gesicht erneut vor der Menge auf.
»V-verzeihung«, bat sie ihre Zuhörer mit einem scheuen Lächeln um Entschuldigung. »Ich habe noch nie vor so vielen Leuten gesungen. Deshalb bin ich etwas nervös, aber wenn es für Sie in Ordnung ist, singe ich noch etwas.«
Die Menge brach erneut in lauten Jubel aus, und Iris nahm das Mikrofon vom Ständer und nickte den Musikern zum Zeichen, dass sie fertig war, verstohlen zu. »Dies ist ein Stück von einer unbekannten Komponistin … ich hoffe, dass es Ihnen gefällt.«
Unten in der Menge saß auch Judd und bekam den Mund nur noch mit Mühe zu. Iris war sichtlich nervös gewesen, als sie vor das Publikum getreten war, doch sie hatte nicht nur riesiges Talent, sondern benahm sich auch durch und durch professionell. Vor allem hatte sie das Publikum mit ihrer erfrischend offenen Art und ihrem fantastischen Aussehen becirct. Pia und auch die Stylisten hatten ihre Sache wirklich gut gemacht, stellte er zufrieden fest. Zwar hatte er Pia die Kritik an der Stimme seiner Tochter längst noch nicht verziehen, aber in Bezug auf Iris hatte sie ihren Teil der Abmachung auf jeden Fall erfüllt.
Ermutigt von
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