Was sich liebt das raecht sich - Roman
sie bereits seit langer Zeit vermutet hatte. Das Leben voller Armut und Enttäuschungen lag endgültig hinter ihr. So – sie blickte sich fröhlich in dem eleganten Zimmer um – sah ihre Zukunft aus. Teure Zimmer, Diamanten, Jimmy Choos und ein Harrods-Kundenkonto, dachte sie vergnügt.
Sie zappte die Fernsehkanäle durch, bis sie bei MTV auf Christina Aguilera stieß, und seufzte glücklich auf. Mit ihrem Flug hierher hatte sich ihr Leben eindeutig zum Besseren gewandt.
Später am selben Abend kuschelte sich Tavvy, eine von Lochlins Lesebrillen auf der Nase, in einem verblichenen roten Mickey-Maus-Sweatshirt ins Bett und kritzelte eilig etwas auf einen Block. Im trüben Licht der Nachttischlampe musste sie sich anstrengen, um was zu sehen, doch sie wusste, dass sie erst zur Ruhe käme, hätte sie den letzten Teil der Melodie zu Papier gebracht.
Als sich Lochlin neben ihr unter der Decke rührte, knirschte Tavvy mit den Zähnen und rief sich die Töne beinahe gewaltsam in Erinnerung.
Sie hatte immer erst die Melodie und dann den Text. Die Weise sprach zu ihr, und dann kamen die Worte wie von selbst, etwas, worum sie von ihren Musiker-Freunden stets beneidet worden war. Weil es bei ihr so einfach wirkte, hatten sie immer gesagt.
In den Achtzigern hatte sie stets das Gefühl gehabt, dass sie ein Glückskind war, denn die bereits fertigen, an genau den richtigen Stellen ergreifenden und wunderschönen Melodien hatten sich einfach wie von selbst einen Weg in ihren Kopf gebahnt. Sie hatte sich dafür niemals anstrengen müssen, und natürlich waren die Rechte an diversen Hits, die weltweit in den Charts auf dem ersten
Platz gelandet waren, unglaublich lukrativ, weshalb sich zum Beispiel ein Großteil ihrer Arbeit mit den Tieren allein mit den Tantiemen finanzieren ließ.
Aber heutzutage wurde ihr das Schreiben irgendwelcher Lieder schwer gemacht. Neben der Familie und den Tieren blieb ihr kaum noch Zeit für das Verfassen neuer Songs. Sie hatte sich entschieden, ihre musikalische Karriere zu beenden, um nur noch für ihren Mann und ihre Kinder da zu sein, und das hatte sie bisher rundherum glücklich gemacht. Ihr Leben war ausgefüllter, als sie es je erwartet hätte, und diese irritierende Melodie, die ihr plötzlich in den Sinn gekommen war, hatte sie eiskalt erwischt.
Sie blickte in Richtung von Brockett Hall, das an klaren Tagen von ihrem Schlafzimmerfenster aus zu sehen war, und nahm durch einen Spalt im Vorhang einen Teil des Daches wahr. Judd Harrington war wieder da, hatte wieder sein ehemaliges Heim bezogen und war ihnen für ihren Geschmack wesentlich zu nah. Tavvy erschauderte. Was zum Teufel wollte er wieder hier?
Sie klopfte sich gedankenverloren mit dem Stift gegen die Zähne. Als sie ihm zum ersten Mal begegnet war, war ihr Judd unglaublich dynamisch vorgekommen. Er war stark und ambitioniert gewesen und hatte einen rauen, unwiderstehlichen Charme versprüht. Aber als sie ihn besser kennengelernt hatte, war ihr klar geworden, dass er weniger dynamisch als vielmehr gefährlich war und dass das, was sie als Ehrgeiz angesehen hatte, in Wahrheit Skrupellosigkeit gewesen war. Judd hatte einen grausamen Zug, und sein rücksichtsloses Verhalten hatte des Öfteren zu gebrochenen Herzen oder – wie Lochlin und sie besser als jeder andere wussten – zu Tragödien geführt. Er hatte sie auf einen gefährlichen Weg geführt, und nicht nur sie allein.
Tavvy blickte auf Lochlins schlafende Gestalt. Als sie einander gefunden hatten, hatte das ihrer beider Leben ein für alle Mal verändert. Er hatte die Sorge und die Angst, die sie in ihrer Beziehung mit Judd hatte durchleben müssen, durch Liebe und schwindelerregende Leidenschaft ersetzt.
»Du bist einfach geblendet«, hatte Judd verächtlich ausgestoßen, denn er hatte nicht glauben können, dass Tavvy ihn wegen eines anderen verließ. Dann hatte er ihr deutlich zu verstehen gegeben, was er von ihrem verräterischen Vorgehen hielt. Sie schloss die Augen und versuchte, die Erinnerung an damals zu verdrängen, aber es gelang ihr nicht.
Als sie mit der Musik begonnen hatte, hatte alles so einfach ausgesehen. Das Einzige, worum sich Tavvy hatte Sorgen machen müssen, war die Enttäuschung ihrer Eltern, einer Konzertpianistin und eines berühmten Opernsängers, für die eine Tochter, die als Popstar Karriere machte, eher peinlich gewesen war. Sie hatten ihre Tochter entsprechend der Einteilung der Tonleiter Octavia genannt und eine Karriere in der Welt
Weitere Kostenlose Bücher