Was sich liebt, das trennt sich: Roman (German Edition)
müssen; Peggy war vielleicht keine echte Sedgwick, aber in diesem Moment, während sie die Brosche trug, hatte sie wie eine Sedgwick ausgesehen, und dieser Anblick war ein Schock gewesen. Es schien völlig widersinnig, dass er sich gegen sein Erbe auflehnen und gleichzeitig so überwältigt davon sein konnte, wie diese Frau es verkörperte, ohne es bewusst zu versuchen.
Peggy trat von dem Porträt zurück. »Ist alles in Ordnung mit Miss Abigail?«
»Es geht ihr gut. Ich habe ihr einen Kamillentee gekocht.« Er fügte nicht hinzu, dass er einen ordentlichen Schuss Sherry dazugegeben hatte. »Sie ist manchmal so, wenn sie übermüdet oder aufgeregt ist. Es belastet sie, wenn es passiert. Sie findet es unwürdig.«
»Aber sie kann doch nichts dafür«, meinte Peggy. »Sie ist einundneunzig. Niemand erwartet von ihr, zu jeder Minute des Tages topfit zu sein.«
»Sie erwartet es von sich selbst«, erklärte ihr Luke. »Die Sedgwicks achten immer auf gutes Benehmen.«
Peggy ließ sich in den Sessel sinken, in dem jetzt nicht mehr die Dinge lagen, die Abby im Raum verteilt hatte. Luke wurde klar, dass Peggy auch hier aufgeräumt und die übrigen Bücher und Gegenstände zurückgestellt hatte. Zum ersten Mal war er dankbar dafür, dass ihm jemand dabei half, sich um seine Großtante zu kümmern, selbst wenn Peggy nur hier war, weil sie wusste, dass sie irgendwann dafür entschädigt wurde. Sie musste sich das Geld genauso verzweifelt wünschen wie er.
Wer war sie?, fragte sich Luke. Er stellte sich vor, dass Peggy die Freuden einer ganz gewöhnlichen Kindheit genossen hatte, dass sie mit Geschwistern und Nachbarskindern in einer unauffälligen Vorort-Sackgasse Fahrrad gefahren war. Die Zukunft hatte diesen Kindern völlig offengestanden, und sie konnten frei wählen, auf welches College sie gingen, welchen Job sie machten und wen sie heirateten.
Peggy stand wieder auf und rückte das Foto eines jungen Mädchens in einem Partykleid gerade.
»Das ist Abigail«, sagte Luke, und Peggy lächelte. Die junge Version seiner Großtante hatte kurzes, dunkles Haar und einen verschmitzten Ausdruck in ihren braunen Augen, die ihn plötzlich an jemanden erinnerten; ihm fiel nicht ein, an wen. »Ich schätze, du würdest gerne wissen, wer Charles ist«, sagte er.
Sie nickte.
»Charles Finnegan lebte zwei Häuser nördlich von hier. Er war der Sohn des Hausmeisters in der Main Street Nummer fünf. Als Abigail noch zur Schule ging, waren Charles und sie die dicksten Freunde. Meinen Urgroßeltern gefiel es nicht, dass ihre Tochter sich mit dem Sohn eines Bediensteten abgab, aber das machte ihre Freundschaft nur enger, und als Abigail sechzehn war und Charles achtzehn, verlobten die beiden sich heimlich.«
Luke hatte nicht geplant, die Familiengeheimnisse zu lüften, aber wenn Peggy schon Zeugin von Abbys Anfällen geworden war, dann war es am besten, wenn sie sie verstand. Er fuhr fort: »Bald darauf fand ihr Bruder, mein Großvater Luke der Zweite, heraus, dass die beiden durchbrennen wollten, und verriet Abigail an meinen Urgroßvater, der heimlich dafür sorgte, dass Charles einen Job bekam. Er nutzte seine Beziehungen, um Charles eine Arbeit beim Bau der Bourne Bridge in Massachusetts zu beschaffen. Das war während der Großen Depression, und gute Jobs waren schwer zu bekommen. Charles brauchte das Geld für die Hochzeit - eine Hochzeit, bei der es keine Mitgift gäbe -, und meine Familie wusste, dass er nicht Nein sagen würde. Charles versprach Abigail, dass er zu ihr zurückkehren würde, sobald das Bauprojekt beendet war, aber die Familie rechnete damit, dass Abby vor seiner Rückkehr zur Vernunft käme.
Doch die Dinge entwickelten sich besser, als mein Urgroßvater gehofft hatte. Nach nur wenigen Monaten fiel Charles während der Arbeit von der Brücke in den Cape-Cod-Kanal.«
Peggy keuchte.
»Abigail war danach nie wieder dieselbe. Egal, wie viele Verehrer ihre Eltern einluden, sie schwor, dass sie nicht heiraten würde, und das hat sie auch nicht getan.«
»Das ist die traurigste Geschichte, die ich jemals gehört habe.«
»Ich weiß nicht. Für mich klingt das alles sehr nach Miss Havisham aus Charles Dickens' Roman Große Erwartungen, die der Männerwelt Rache schwört, weil sie am Hochzeitstag von ihrem Bräutigam verlassen wird.«
»Wie unglaublich gefühllos.«
Luke richtete sich in seinem Sessel auf. »Ich schätze, ich verstehe einfach nicht, wie man dermaßen von jemand anderem abhängen kann, dass es
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