Was sie nicht weiss
Lois. »Wir wollten nur wissen, ob es ihm einigermaßen gut geht.«
Chantal Veenstra zuckt die Schultern. »An sich schon. Er hat allerdings noch gar nicht recht begriffen, was da passiert ist. Zum Glück haben Marijke und Richard für den Fall, dass ihnen etwas zustößt, meinen Mann als Vormund bestimmt. Sonst wäre der Junge in einem Heim gelandet.«
Lois nickt.
»Und nach Alkmaar ist es nicht weit, sodass Sem seine Freunde regelmäßig sehen kann«, fährt Frau Veenstra fort. »Er könnte sogar weiter auf seine bisherige Schule gehen.«
»Möchte er das denn?« Lois lässt den Blick durch das eher kleine, aber sehr gemütlich wirkende Wohnzimmer schweifen. Er bleibt an einem gerahmten Foto von zwei blonden Kindern hängen, einem Jungen und einem Mädchen, die einander sehr ähneln.
»Darüber haben wir noch nicht gesprochen. Aber ich könnte mir gut vorstellen, dass er auf Dauer lieber die glei che Schule besuchen will wie unsere Kinder Merel und Mees. Sem hat öfter mal bei uns übernachtet und immer gern mit den beiden gespielt.«
»Bestimmt wird es ihm hier gefallen. Es wird sich schon gut entwickeln«, sagt Lois.
»Wir werden natürlich alles tun, um ihm zu helfen, mit dem Verlust umzugehen. Man hat uns psychologische Unter stützung zugesagt, wenn wir später mit ihm darüber reden.«
»Das ist gut«, sagt Lois. »Und sehr wichtig.«
Fred, der ein paar Schritte von den beiden Frauen entfernt steht, hat sich die ganze Zeit über nicht geäußert.
»Mehr kann ich Ihnen momentan nicht sagen.« Frau Veenstra hebt bedauernd die Hände. »Das Ganze wird viel Zeit brauchen.«
»Das verstehe ich«, sagt Lois. »Falls Sem eines Tages Fragen hat, können Sie mich jederzeit anrufen.«
»In Ordnung. Das ist gut zu wissen. Aber jetzt geht es erst einmal darum, dass er vergisst.«
9
»Dass er vergisst …«, sagt Lois abfällig, als sie wieder im Auto sitzen. »Als ob der Junge das je vergessen könnte! Er muss lernen, damit zu leben, das ist schon schwer genug.«
»Vermutlich hat seine Tante es so gemeint«, entgegnet Fred. »Außerdem könnte es gut sein, dass er kaum etwas mitgekriegt hat, schließlich hatte er Schlaftabletten bekommen.«
»Zum Glück. So was Furchtbares sollte kein Kind je erleben müssen!«
Lois merkt, dass Fred sie von der Seite her ansieht, aber er sagt nichts. Als sie vor Karin Meijers Haus halten, legt er kurz die Hand auf ihre Schulter. Dann steigen sie aus und klingeln.
Eine etwa fünfundvierzigjährige rundliche Frau im Morgenmantel mit verwuscheltem rotem Haar öffnet.
»Frau Meijer? Wir sind von der Kripo.« Fred hält ihr seinen Dienstausweis hin. »Dürfen wir Sie kurz sprechen?«
Die Frau wird schreckensbleich: »Ist Juri was zuge stoßen?«
»Wer ist Juri?«
»Mein Sohn. Er geht freitags immer aus. Ich bin gerade erst aufgestanden und hab noch nicht nachgesehen, ob er nach Hause gekommen ist.« Sie legt die Hand aufs Herz, schließt sekundenlang die Augen und sagt dann: »Aber Sie kommen anscheinend nicht wegen ihm. Worum geht es denn?«
»Um einen Lehrer an Ihrer Schule, David Hoogland.«
»Wenn es nicht ernst wäre, wären Sie wohl kaum gekommen. Was ist passiert?« Die Rektorin mustert sie forschend.
»Herr Hoogland ist umgebracht worden.« Lois achtet genau auf die Reaktion der Frau. Die jedoch sieht sie nur groß an. Vermutlich kommt der Schock, wie so oft, erst später, also fragt sie, ob sie kurz ins Haus dürfen.
In dem leicht chaotischen Wohnzimmer müssen erst drei Katzen vom Sofa gescheucht werden, bevor sie sich setzen können. Erst nachdem auch Karin Meijer sich auf einem Sessel niedergelassen hat, schlägt sie die Hände vors Gesicht und beginnt zu zittern. Es dauert ein paar Minuten, bis sie sich gefasst hat und imstande ist, Fragen zu beantworten.
Nein, in der Schule habe es keine Probleme gegeben, sagt sie, weder mit den anderen Lehrern noch mit Schülern oder deren Eltern. David Hoogland sei ein angenehmer, allseits beliebter Kollege und hervorragender Lehrer gewesen.
Als Lois behutsam nachfragt, ob sie sich vorstellen könne, dass er Schüler missbraucht habe, weist sie das weit von sich.
»Das ist völlig ausgeschlossen! Wenn so was passiert wäre, hätte ich es auf jeden Fall bemerkt«, sagt sie. »Ich kenne meine Schüler gut, vor allem die Problemkinder. Wenn eines sich plötzlich seltsam verhalten oder mit seinen Leistungen nachgelassen hätte, wäre mir das aufgefallen. In der Klasse, die Herr Hoogland unterrichtet hat, sind lauter
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