Was sie nicht weiss
Inspiration fehlt, werden sie grantig.«
Durch den strömenden Regen gehen sie die Straße zurück.
»Sie hat gelogen«, sagt Lois, als sie wieder im Auto sitzen. »Unsere Frage war ihr mehr als unangenehm. Und außerdem wollte sie uns partout nicht reinlassen. Ich frage mich, warum?«
»Tja, für einen Durchsuchungsbefehl haben wir leider nicht genug in der Hand. Komm, wir fahren zum Revier zurück, vielleicht gibt’s ja was Neues, und heute Abend klappern wir die Kneipen ab und erkundigen uns nach dieser Tamara.«
»Wie soll das denn gehen, ohne ein Foto von ihr? Wir wissen lediglich, dass sie halblanges dunkles Haar hat und etwa so groß ist wie ich.«
»Also so groß wie die Täterin. Wenn jemand sie kennt und uns ihren Nachnamen nennen kann, ist mir das einen Feierabend wert.«
»Mir auch«, sagt Lois. »Ich glaube nur nicht, dass es was bringt.«
»Möglich«, gibt Claudien zu. »Aber solange wir keine anderen Anhaltspunkte haben, ist eine Kneipentour nicht das Schlechteste.«
Nach der Arbeit gehen Lois und Claudien essen, im Traditionsrestaurant Het Gulden Vlies, das in einem Gebäude von 1563 untergebracht ist. Früher war Lois öfter mit ihren Eltern und Tessa dort, später ein paar wenige Male mit Freundinnen, aber auch das ist lange her.
Weil sie und Tessa sich viel um ihre Mutter kümmern mussten, war Ausgehen in den letzten Schuljahren nur selten drin. Lois’ Freundschaften stammen zumeist aus der Zeit an der Polizeiakademie in Amsterdam. Nach dem Abschluss zogen viele weg, und aus dem guten Vorsatz, in Verbindung zu bleiben, wurde nicht viel; etliche Kontakte schliefen mit der Zeit ein.
In den Jahren mit Brian hatte sie kein Bedürfnis nach einem größeren Freundeskreis, erst nach seiner Rückkehr in die USA wurde ihr mit Schrecken bewusst, wie isoliert sie war. Fred und Nanda halfen ihr über die schwierige Zeit nach der Trennung hinweg und ermutigten sie immer wieder auszugehen, um unter Menschen zu kommen und neue Kontakte zu knüpfen.
Bisher ohne großen Erfolg. Kneipenbekanntschaften füh ren nur sehr selten zu dauerhaften Freundschaften, sie sind allenfalls für ein wenig Zerstreuung an Abenden gut, die Lois sonst allein zu Hause verbringen würde. Außerdem hat sie einen anstrengenden Job. Dennoch hätte sie nie gedacht, dass sie mit einunddreißig einsam sein würde.
Auf Claudiens Vorschlag, am frühen Abend zusammen essen zu gehen, ist sie deshalb gern, wenn auch leicht verwundert eingegangen. Eigentlich seltsam, dass sie so wenig über ihre Kollegin weiß, die sie doch tagtäglich sieht. Lediglich dass Claudien frisch geschieden ist und einen zweieinhalbjährigen Sohn hat.
»Wie geht’s dir denn so?«, fragt Lois, nachdem sie bestellt haben. »Wenn ich es richtig mitbekommen habe, war deine Scheidung ziemlich schmerzhaft.«
»Das kann man laut sagen!« Claudien streicht sich die kastanienbraunen Locken aus dem Gesicht. »Wir waren sechs Jahre verheiratet, und drei davon hat mein Mann ein Doppelleben geführt. So was tut verdammt weh. Schon gleich, wenn man ein gemeinsames Kind hat, das Kostbarste, was man zusammen haben kann. Er hat das aber weniger exklusiv gesehen und mit einer anderen eine Tochter bekommen. Als sein Doppelleben aufflog, zeigte sich, dass die andere Frau keine Ahnung von seiner Existenz als Familienvater hatte.«
»Unfassbar«, sagt Lois.
»Du sagst es. Noch heute denke ich manchmal, das Ganze ist nicht wahr. Dann werde ich morgens wach und hab kurzzeitig vergessen, was passiert ist. Hast du so was auch schon mal erlebt? Man denkt, alles sei gut, bis langsam, aber sicher wieder die dunkle Wolke aufzieht.«
»Das kann ich sehr gut nachfühlen.«
Claudien sieht Lois fragend an. »Aber du bist doch Single, oder?«
Lois greift nach dem Zahnstocherhalter und spielt damit herum. »Bin ich, ja«, sagt sie dann. »Aber davor war ich mit Brian zusammen, einem Amerikaner. Er war von seiner Firma nach Amsterdam versetzt worden. Dort haben wir uns kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Schon nach ein paar Wochen sind wir zusammengezogen. Als ich hier die Stelle bekam, ist er mit mir hergezogen.«
»Und dann?«
»Sein Arbeitgeber hat ihn nach Amerika zurückbeordert, und er wollte, dass ich mitgehe.«
Sekundenlang ist es still, dann nickt Claudien verständnisvoll und sagt: »Aber du wolltest lieber hierbleiben, ja?«
»Die Entscheidung ist mir wirklich nicht leichtgefallen. Ich wollte mit Brian zusammen sein, mehr als alles andere. Aber dafür
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