Was sie nicht weiss
Wenn ich daran denke, wie rasch sich in Amsterdam alles verändert …«
»Stimmt, aber dort läuft man nicht so oft alten Bekannten über den Weg. Hier dagegen hab ich schon ein paar gesehen.«
»Tatsächlich? Wie nett.«
»Erkannt haben sie mich allerdings nicht, sondern sind einfach an mir vorbeigelaufen. Anscheinend hab ich mich in den fast zehn Jahren ziemlich verändert.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Liegt es nicht eher daran, dass hier niemand damit rechnet, dir zu begegnen?«
»Das kann sein, und es macht mir nichts aus. Den meisten von früher hab ich ohnehin nichts zu sagen.«
Sie überqueren den Mient und steuern dann den Waag plein an. An einer Seite des Platzes, auf dem im Sommer jeden Freitag der berühmte Käsemarkt abgehalten wird, reiht sich ein Lokal ans andere.
In einem Bistro finden sie einen Tisch mit bequemer Eckbank. Die Speisekarte ist ziemlich reichhaltig, aber sie entscheiden sich beide nach einem kurzen Blick für Saté.
Als sie bestellt haben, fragt Daniela: »Wie läuft’s mit dem Malen, hast du ein paar neue Bilder fertig?«
»Zwei«, antwortet Maaike. »Nur bin ich nicht ganz zufrieden damit. Mädchen im Nebel ist noch nicht gut, aber ich weiß nicht, was fehlt.«
»Lass dir Zeit. Du brauchst das Geld ja momentan nicht dringend. Sag mal, kanntest du eigentlich den Mann, der letzte Woche umgebracht wurde, diesen David Hoogland? Ich hab im Telegraaf davon gelesen.«
Eine unbehagliche Stille tritt ein, dann macht Maaike eine resignierte Handbewegung.
»Ja«, sagt sie mit einem Seufzer. »Den kannte ich von früher. Aber verrat das bitte keinem, ich hab nämlich der Polizei gesagt, ich hätte den Namen noch nie gehört.«
»Warum?«
Maaike überlegt. »Weil es mir besser schien.«
»Das war dumm, über kurz oder lang kommt das raus.«
Maaike lässt den Blick durch das Restaurant schweifen, richtet ihn dann für zwei Sekunden auf Daniela und sagt, mit wieder abgewandtem Gesicht und gepresster Stimme: »Er hat es verdient. Soll ich etwa so tun, als würde ich seinen Tod bedauern?«
»Das brauchst du nicht.« Beruhigend legt Daniela ihr die Hand auf den Arm.
Erst als die Kellnerin mit den Tellern kommt, lehnt sie sich wieder zurück.
»Du sagst es doch nicht der Polizei, oder?«, fragt Maaike leise, als die junge Frau außer Hörweite ist.
»Dass du diesen David gekannt hast? Nein, warum sollte ich?«
»Und du sagst auch nichts wegen … du weißt schon?«
Die Antwort lässt auf sich warten.
»Daniela?«, drängt Maaike.
»Schon gut«, sagt Daniela zögerlich. »Ich sag nichts. Aber Gedanken mache ich mir schon. Glaubst du denn, dass sie es getan hat?«
Maaike fährt sich verzweifelt über die Stirn. »Ich weiß nicht, möglich wär es …«
In gedrückter Stimmung beginnen sie zu essen. Nach ein paar Bissen trinkt Daniela einen Schluck Wasser und blickt nachdenklich vor sich hin. »Ich finde, du kannst die Sache nicht einfach ignorieren«, sagt sie nach einer Weile. »Dann erklärst du dich im Grunde mit dem Mord einverstanden und bist mitschuldig. Und dass du das willst, kann ich mir absolut nicht vorstellen.«
»Nein, das will ich ganz bestimmt nicht.« Über ihr Weinglas hinweg sieht Maaike sie unentschlossen an. »Wir wissen es aber doch gar nicht sicher.«
»Doch, wir wissen es.«
Maaike senkt den Blick auf ihren Teller, wo das Fleisch allmählich kalt wird.
»Ich muss darüber nachdenken«, sagt sie leise.
15
Am nächsten Tag sitzt Lois schon um sieben Uhr am Schreibtisch, vor sich einen Stapel Protokolle. Trotz der frühen Stunde hat sie es geschafft, vor Arbeitsbeginn noch zu laufen, zu mehr als zwanzig Minuten fehlte ihr aber die Energie.
In der Nacht hat sie lange wach gelegen und über den Fall nachgegrübelt. Jeder Täter hinterlässt Spuren, und dass sie bisher nicht mehr als die wenigen gefunden haben, die sie ins Labor gegeben haben, heißt nicht, dass keine anderen da waren oder sind. Entweder haben sie nicht gründlich genug gesucht oder etwas übersehen, vielleicht auch eine Aussage der befragten Personen nicht richtig interpretiert. Schon öfter hat sie die Erfahrung gemacht, dass es die Mühe wert war, sämtliche Akten noch einmal akribisch durchzusehen, und genau das hat sie heute vor.
»Morgen, Lois. Du bist aber früh dran.« Nick kommt ins Büro; er wirkt müde, hat ganz kleine Augen. Nachdem er seine Jacke über die Stuhllehne gehängt hat, setzt er sich und reckt die Glieder.
»Mann, ich bin so was von urlaubsreif! Jede
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