Was sie nicht weiss
weiteren Büchern, aus denen blaue Post-its ragen: Stärker als dein Kummer, Emotionale Kompetenz, Denk dich gesund … Selbsthilfebücher also, aber auch einiges an psychologischer Fachliteratur.
Lois nimmt eine Farbstiftzeichnung von einem Tischchen. In bunten Kontrastfarben ist darauf ein Haus zu sehen, daneben ein Mann, eine Frau und ein Kind, die sich an den Händen halten, und über ihnen der blaue Himmel mit ein paar Wolken und einer großen Sonne.
Eindeutig die Zeichnung eines Kindes, eines talentierten Kindes allerdings, denn die Konturen der weißen Wolken sind im Himmelblau sorgfältig ausgespart, und die Sonnenstrahlen nicht als Striche gearbeitet, sondern schraffiert und zur Erde hin breiter werdend. Rechts unten auf dem Blatt steht in Blockbuchstaben STEFANIE .
Mit der Zeichnung in der Hand geht Lois zum Esstisch, wo das Gespräch gerade stockt.
»Wer ist Stefanie?« Sie hält Daniela die Zeichnung hin.
Ihre Mundwinkel zucken kurz, dann aber lächelt sie und sagt: »Ach, das ist meine Nichte. Sie zeichnet recht nett und ist eine große Bewunderin von Maaike. Deshalb gibt sie mir immer wieder Zeichnungen für sie mit.«
» Ihre Nichte, nicht die von Frau Scholten?«
»Ja, meine. Maaike hat so gut wie keine Verwandten. Sie ist als Einzelkind aufgewachsen und hat ihre Eltern früh verloren.«
Lois legt das Blatt zurück. Die ausgefeilte Kinderzeichnung hat etwas, das sie betroffen macht, doch sie kann nicht sagen, was es genau ist. Nach einem letzten Blick darauf geht sie wieder zu den anderen.
»Hat Frau Scholten David Hoogland gut gekannt?«, fragt Claudien gerade.
»Keine Ahnung. Danach müssen Sie Maaike selbst fragen.«
»Hat sie nie von ihm gesprochen?«
»Doch, nach dem Mord schon. Es stand ja in allen Zeitungen. Ich hatte aber nicht den Eindruck, dass sie ihn von früher kannte. Und gefragt habe ich sie nicht danach. Wäre es ein Bekannter gewesen, dann hätte sie mir das bestimmt erzählt.« Es folgen noch ein paar ausweichend formulierte Sätze.
Lois wechselt einen Blick mit Claudien. Beiden ist klar, dass Daniela Amieri lügt. Zwar wirkt sie ruhig und gelassen, begeht aber – wie viele, die etwas zu verbergen haben – den Fehler, sich in einer Flut von Worten zu ergehen.
»Wir hätten da noch eine Frage«, sagt Lois, nachdem Daniela geendet hat. »Von Frau Scholtens Ausstellung wurden Flyer verteilt. Sie als ihre Galeristin wissen sicherlich, wer das Verteilen übernommen hat. War das Frau Scholten selbst, Sie oder eine dritte Person?«
Daniela sieht sie mit erstaunten haselnussbraunen Augen an. »Das haben Maaike und ich gemacht. Ich kann aber nicht mehr sagen, wer in welchem Stadtteil.«
»Sie sind doch bestimmt systematisch vorgegangen und haben nicht auf gut Glück hin und wieder mal ein Faltblatt irgendwo eingesteckt.«
»Im Grunde schon. Wir hatten nicht so viele drucken lassen, dass es für alle Haushalte in Alkmaar gereicht hätte, deshalb haben wir in jedem Viertel nur ein paar Straßen bedient, hauptsächlich dort, wo Leute mit genug Geld wohnen.«
»Aha. Der Kompasweg, wo David Hoogland wohnte, gehörte demnach nicht dazu, oder?«
Irritiert sieht Daniela sie an. »Warum fragen Sie?«
»Weil die Straße nicht in einer Gegend liegt, in der man wohlhabende Kunstliebhaber findet.«
Daniela wendet den Blick ab. »Mag sein. Aber wenn man Flyer übrig hat, wirft man die nicht ins Altpapier, sondern steckt sie eben in irgendwelche Briefkästen.« Abrupt steht sie auf und sagt kühl: »Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, würde ich das Gespräch gern beenden. Auf mich wartet noch eine Menge Arbeit.«
19
»Die hat uns einen Bären aufgebunden«, sagt Lois ärgerlich, als sie wieder im Auto sitzen. »In Daalmeer wohnen keine reichen Leute, trotzdem waren sie dort und auch noch in einer ziemlich abseits liegenden Straße.«
»Und was meinst du zu dem, was sie sonst gesagt hat?«
»Sie lügt wie gedruckt. Meinem Eindruck nach versucht sie, ihre Freundin zu schützen.«
»Wovor?«
»Wenn ich das wüsste … Laut Sonja de Nooij hat Maaike Hoogland gekannt, und das weiß diese Daniela garantiert. Wenn ein Freund von früher umgebracht wird, erzählt man seiner Freundin doch davon, oder?«
»Und falls es nun kein Freund war?«
»Auch dann. Es sei denn, man ist in die Sache verstrickt oder weiß Dinge, die man lieber verschweigen will.«
»Mir ist aufgefallen, dass sie leicht zusammengezuckt ist, als sie hörte, im Kompasweg seien diese Ausstellungsblätter eingeworfen
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