Was sie nicht weiss
hätte ich meine Schwester Tessa als einzige Ver wandte, die ich noch habe, zurücklassen müssen. Und meine Arbeit bei der Polizei, also meinen Traumjob, hätte ich auch aufgeben und mich beruflich umorientieren müssen. Was auch immer mich in den USA erwartet hätte, ich wollte das Risiko nicht eingehen. Auswandern ist einfach nichts für mich, ich hätte bestimmt nach kurzer Zeit Heimweh bekommen.«
»Und Brian?«, fragt Claudien vorsichtig. »Denkst du noch oft an ihn?«
»Jeden Tag. Bis zu seiner Abreise hatte ich die Hoffnung, er würde es sich anders überlegen und bei mir bleiben, aber letztlich ging es ihm genauso wie mir. Ihm fehlten die Eltern und Geschwister, und er hat sich nach seinem Heimatland gesehnt. Also haben wir einen Schlussstrich gezogen, allerdings keinen endgültigen; wir haben immer noch Kontakt.«
»Wirklich? Wie macht ihr das?«
»Die ersten Monate haben wir regelmäßig geskypt, dann ab und zu gemailt, und jetzt läuft der Kontakt hauptsächlich über Facebook. Das ist nicht viel, aber jedes Mal, wenn ich eine Meldung von ihm sehe, macht mein Herz einen Satz.«
»So ist es auf Dauer natürlich schwer, die Trennung zu verarbeiten«, meint Claudien. »Besser, du machst endgültig einen Punkt drunter. Mit allen Konsequenzen.«
»Du hast recht. Ich denke, es würde mir wohl leichter fallen, wenn ich einen neuen Mann kennenlerne, aber bisher hat sich in der Richtung nichts getan.«
»Wer weiß, vielleicht ändert sich das heute Abend?« Claudien zwinkert ihr zu und lehnt sich dann zurück, weil die Kellnerin mit den Tellern auf ihren Tisch zukommt. »Wir verraten den Männern einfach nicht, dass wir von der Kripo sind, dann wird schon einer anbeißen.«
Lois lacht. »Eine prima Idee, darauf stoßen wir an!« Sie greift nach ihrem Wasserglas und prostet Claudien zu.
17
Das Ossenhooft heißt eigentlich Café de Amstel, aber weil es in einem Haus aus dem siebzehnten Jahrhundert untergebracht ist, dessen Giebelstein die Aufschrift ’T WITTE OSSENHOOFT trägt, ist die Kneipe unter eben diesem Namen bekannt.
Während sie die Platte Stenenbrug überqueren, wirft Lois einen Blick auf die Überwachungskameras an einigen der Häuser. Wenn Tamara hier war, überlegt sie, müsste sie eigentlich auf den Aufnahmen zu sehen sein.
Drinnen geht es laut zu, aber zum Glück ist es jetzt, am Donnerstagabend, nicht allzu voll, sodass sie sich rasch einen Überblick verschaffen können. Lois setzt sich an den Tresen und fragt den Barkeeper nach Tamara, Claudien spricht indessen ein paar Leute mit Gläsern in der Hand an.
Nach einer halben Stunde stehen sie wieder im Freien, ohne auch nur einen Schritt weitergekommen zu sein. Unschlüssig sehen sie einander an.
»Wollen wir weiter zur nächsten Kneipe?«, fragt Lois. »Hoogland war vielleicht auch mal in einer anderen als dieser.«
»Geht’s um David Hoogland?«, hören sie eine Stimme hinter sich.
Lois und Claudien drehen sich gleichzeitig um.
An der Tür lehnt eine junge Frau, die vorhin, als Claudien sie nach Tamara fragte, nur die Schultern gezuckt hat. Sie trägt einen schwarzen Minirock, dazu eine kurze Adidas-Jacke. Ihr dunkles Haar ist hochgesteckt, sodass die langen Goldkreolen gut zur Geltung kommen.
»Ja«, sagt Lois. »Haben Sie ihn gekannt?«
»Von früher. Wir waren am Gymnasium in einer Klasse. Ich war zwar in einer anderen Clique als er, aber da überschnitt sich auch manches, deshalb gingen wir öfter zusam men aus. In der gleichen Gruppe, meine ich, nicht zu zweit.«
»Sie haben Herrn Hoogland also gekannt, das ist ja interessant. Wie heißen Sie?«
»Sonja de Nooij.«
»Gab es in Ihrer oder seiner Clique jemanden mit Namen Tamara?«
»Das kann sein. Ich weiß aber heute nicht mehr, wie die alle hießen. Namen kann ich mir sowieso schlecht merken, dafür vergesse ich Gesichter nicht so schnell.«
»Der Name Tamara kommt Ihnen aber bekannt vor?«
»Schon. Obwohl ich immer dachte, das Mädchen heißt Mara. Vielleicht hab ich mir’s falsch gemerkt oder verwechsle was. Aber wie wär’s, wenn wir reingehen? Es sieht nach Regen aus.«
Lois und Claudien folgen ihr in die Kneipe, bleiben aber in der Nähe der Tür stehen.
Sonja tänzelt auf ihren hohen Absätzen herum, winkt ein paar Bekannten zu und zieht Grimassen. Anscheinend will sie sich wichtigmachen.
Claudien stellt sich kurzerhand zwischen sie und die anderen, damit das Getue ein Ende hat.
»Was wissen Sie über Tamara oder Mara?«, fragt sie.
Nach einem
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