Was sie nicht weiss
Mädchen – wie sie hieß, weiß ich nicht mehr – wollte es selber. Wir hatten damals Strip-Poker gespielt, waren ziemlich besoffen, und sie hockte bereits in Unterwäsche da. Irgendwann musste sie auch den BH ausziehen. Meiner Erinnerung nach hat ihr das nichts ausgemacht, und was danach passierte genauso wenig. Eine Vergewaltigung war das wirklich nicht.«
»In Ihren Augen vielleicht nicht«, sagt Lois.
»Wenn sie es anders sehen würde, hätte sie uns ja wohl angezeigt, oder?«
»Das heißt noch lange nicht, dass es keine Straftat war. Viele Vergewaltigungsopfer melden sich aus Scham nicht bei der Polizei, das gilt besonders für junge Mädchen, die unsicher sind, ob sie den Übergriff eventuell provoziert haben«, sagt Lois.
»Genau: Provoziert hat sie es! Und zwar, indem sie anstandslos den BH ausgezogen hat.«
»Und das haben Sie und Ihre Freunde zum Anlass genommen, um wie Tiere über sie herzufallen?«, fragt Fred. »War das bei Ihren Partys so üblich?«
»Üblich nicht. Ich meine, da lief schon mal was, vor allem, wenn Strip-Poker gespielt wurde. Aber wie schon gesagt, das Mädchen hat es selber gewollt!« Triumphierend sieht er Fred an – der Sechzehnjährige von damals hat offensichtlich nichts dazugelernt.
»Und wie das Mädchen hieß, wissen Sie wirklich nicht mehr?«, fragt Lois.
»Nein, bei den Partys waren fast jedes Mal andere Mädchen, die kamen und gingen.«
Remco, der sich nun sicher fühlt, weil sie ihm nichts anhaben können, entspannt sich zusehends.
»Und mit all diesen Mädchen hatten Sie Sex?«
»Doch nicht mit allen. Aber beim Strip-Pokern kam das schon mal vor, es gehörte einfach dazu. Und wer mitmachte, wusste das auch.«
»Vielleicht nicht alle«, wendet Lois ein. »Sie können von Glück sagen, dass Sie nie angezeigt wurden, Herr Leegwater, sonst hätten Sie ein ziemliches Problem gehabt. Mir gefällt es, ehrlich gesagt, überhaupt nicht, dass Sie ungeschoren davongekommen sind.«
»Denken Sie, was Sie wollen. Ich bin mir jedenfalls keiner Schuld bewusst.«
»Klar, Sie sind ein Unschuldslamm, wie es im Buche steht. Allerdings eins, das geschlachtet wird, wenn wir es laufen lassen.«
Er strafft den Rücken. »Ich hab Ihnen gesagt, was Sie hören wollten. Also hab ich jetzt Anspruch auf Schutz, solange diese gestörte Person noch frei rumläuft.«
»Bevor wir Ihnen das zusagen, wüssten wir gern noch den Namen des anderen Mädchens, das laut Aussage unserer Zeugin dabeistand und die Vergewaltigung mit angesehen hat«, sagt Fred. »Sehr wahrscheinlich ist auch sie gefährdet. Also strengen Sie bitte Ihre grauen Zellen an, Herr Leegwater.«
»Kann ich mich darauf verlassen, dass Sie ihr keine Schwierigkeiten machen?«, fragt Remco misstrauisch.
»Es geht um den Schutz der Dame, das ist alles.«
Mit einer resignierten Geste lehnt Remco sich zurück: »Also gut: Sie heißt Helen Groenenwoud und war damals mehr oder weniger meine Freundin.«
»Mehr oder weniger«, wiederholt Fred, während er den Namen notiert. »Was darf man sich darunter vorstellen?«
»Ich hab doch gesagt, dass ständig andere Mädchen bei den Partys waren. Das mit Helen war nichts Festes.«
»Haben Sie noch Kontakt mit ihr?« Lois rechnet mit einem Nein, doch zu ihrer Überraschung nickt er.
»Gesehen hab ich sie seit vielen Jahren nicht mehr. Aber letzten Sommer hat sie mir auf Facebook eine Freundschafts anfrage geschickt. Sie wohnt in Amstelveen, hat sie geschrieben, und arbeitet als Stewardess bei der KLM .«
»Haben Sie ihre Adresse?«
»Die hat sie mir nicht gegeben.«
»Egal, wir kriegen sie schon raus.« Mit zufriedener Miene unterstreicht Fred den Namen Helen Groenenwoud. »Haben Sie die Möglichkeit, eine Zeit lang woanders zu wohnen, Herr Leegwater? Wenn ja, wäre das gut, und denken Sie bitte daran, keinem Menschen Ihre Adresse zu geben, auch nicht guten Freunden.«
»Auf welchem Gymnasium warst du eigentlich?«, fragt Fred, als Remco von einem Kollegen zum Ausgang begleitet wird und sie wieder in ihr Büro gehen.
»Auf dem Willem-Blaeu. Und falls du jetzt wissen willst, ob ich Leegwater & Co. von früher kenne: nein. Vergiss nicht, dass ich älter bin als sie.«
»Aber nicht viel. Nur drei Jahre.«
»Als die sechzehn waren, auf ihren Mofas rumdüsten und sich Clearasil auf die Pickel schmierten, war ich schon in der Berufsausbildung und wohnte in Amsterdam. Ehrlich gesagt, erinnere ich mich nur an wenige Klassenkameraden. Ich hatte wegen meiner Mutter ganz andere Dinge im
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