Was sie nicht weiss
Nimmt er aber Polizeischutz in Anspruch, ist das ein indirektes Geständnis; wir müssen ihn letztlich trotzdem laufen lassen, aber er muss reden. Er ist also ganz schön in der Zwickmühle. Ich meine, wir sollten ein wenig Überzeugungsarbeit leisten. Komm, Lois.« Fred geht in den Flur und öffnet die Tür des Verhörraums. »Ihr habt Pause, Jungs«, sagt er laut. »Wir übernehmen.«
Die beiden sehen ihn überrascht an, stehen aber ohne Protest auf.
»Danke«, sagt Fred.
Als sie gegangen sind, setzt er sich und fixiert sein Gegenüber.
»Herr Leegwater, Sie können hier noch lange sitzen und uns anschweigen, aber das wäre Zeitverschwendung«, beginnt er. »Für Sie wie für uns. Es verhält sich so: Eine Frau kann bezeugen, dass Sie vor zwölf Jahren zusammen mit zwei Freunden ein Mädchen vergewaltigt haben. Bei den zwei Freunden handelte es sich um David Hoogland und Julian van Schaik. Dass die beiden umgebracht wurden, haben Sie sicherlich mitbekommen. Somit haben Sie jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder Sie gestehen die Vergewaltigung, und wir bieten Ihnen im Gegenzug Schutz, oder aber Sie bleiben dabei, von nichts zu wissen. Im letzteren Fall ist unser Gespräch beendet, und Sie müssen zusehen, wie Sie allein klarkommen.«
Leegwater gibt sich unbeeindruckt und verschränkt die Arme vor der Brust. »Ihre Kollegen wollten mir nicht sagen, wer die Zeugin ist.«
»Das erfahren Sie auch von mir nicht. Sie sind hier derjenige, der reden soll!«
Remco Leegwater wendet den Blick ab und betrachtet die leere weiße Wand. Minutenlang bleibt es still.
Plötzlich haut Fred mit der flachen Hand auf den Tisch und sagt: »Gut, wie Sie wollen! Sie können nach Hause gehen, aber ich rate Ihnen dringend, die Türen verschlossen zu halten und bei Dunkelheit möglichst nicht auf die Straße zu gehen, sonst liegen Sie demnächst bei Ihren Freunden auf dem Friedhof.«
Schweißtropfen rinnen Leegwaters Schläfen hinab, dennoch schweigt er hartnäckig.
Am liebsten würde Lois ihm Fotos der beiden Opfer vorlegen, doch das wäre gegen die Vorschrift und würde ihr mächtig Ärger einbringen.
Sie sagt freundlich: »Hören Sie, Herr Leegwater: Solange keine Anzeige wegen Vergewaltigung vorliegt, lässt sich mit der Zeugenaussage wenig anfangen. Ein Gerichtsverfahren gegen Sie kann nur eingeleitet werden, wenn die verge waltigte Frau Sie anzeigt. In diesem Fall sieht es aber so aus, als wollte sie die Sache selbst in die Hand nehmen. Deshalb haben wir wenig Interesse daran, Sie zu überführen, wir wollen Sie lediglich schützen.«
Remco blickt an ihr vorbei. »Das können Sie doch auch so, oder? Diese Zeugin hat sich garantiert getäuscht. Zwölf Jahre sind eine lange Zeit, da kann man sich doch …«
»Warum hat Herr van Schaik dann in unserem Gespräch Ihren Namen genannt?«
Darauf bleibt Remco die Antwort schuldig.
»Nun ja, wenn Sie wirklich unschuldig sind, wie Sie sagen, besteht für Sie natürlich keine Gefahr.«
»Ich kann also gehen?« Unsicher sieht er sie nacheinander an.
»Meinetwegen ja«, sagt Fred. »Ihr Gewissen scheint ja blütenweiß zu sein. Und falls nicht, sollten Sie gut auf sich aufpassen.« Er schiebt die Unterlagen auf dem Tisch zusam men und steht auf.
»Moment noch!« Remcos Stimme überschlägt sich. »Wie würden die Schutzmaßnahmen aussehen, die Sie erwähnt haben?«
»Unsere Einsatzzentrale wird informiert, dass Sie einer Bedrohung ausgesetzt sind, und erhält Weisung, sofort einen Wagen zu schicken, wenn Sie anrufen.«
»Aber eigentlich müsste doch jemand vor meiner Tür Wache halten, oder Sie müssten mir eine Deckadresse besorgen.«
»Halten Sie das denn für nötig?« Lois sieht ihn forschend an.
Verlegen weicht er ihrem Blick aus. »Es ist so …«, beginnt er nach ein paar Sekunden, »dass ich vermute, die Zeugin hat etwas falsch verstanden beziehungsweise aus dem Zusammenhang gerissen. Was muss ich tun, damit ich aus dieser Sache wieder rauskomme?«
Fred setzt sich wieder. »Die Vergewaltigung zugeben und uns bei der Ermittlung unterstützen. Im Klartext: alle unsere Fragen wahrheitsgemäß beantworten.«
»Und was … was für Folgen hat das für mich? Ich meine, falls ich nun die Vergewaltigung gestehe?«
»Vorläufig keine, wie meine Kollegin bereits gesagt hat. Es sei denn, das Opfer erstattet Anzeige.«
Seine verkrampfte Haltung lockert sich ein wenig. »Genau genommen gibt es gar nichts zu gestehen«, sagt er, »weil es nämlich keine Vergewaltigung war. Das
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