Was sie nicht weiss
Kopf als Partys und außerdem wenig Freizeit.«
»Hmmm, verstehe«, sagt Fred und kommt dann wieder aufs Thema zurück. »Wir konzentrieren uns ganz auf die Suche nach einer Tamara. Aber wer weiß, ob das überhaupt ihr richtiger Name ist?«
»Daran hab ich auch schon gedacht. Wenn keiner sich an den Namen erinnert, war sie entweder sehr, sehr unscheinbar, oder aber es ist was faul an der Sache. Ich bin gespannt, was wir von Helen Groenenwoud erfahren.«
»Wenn die auch noch ein schlechtes Namensgedächtnis hat, schmeiß ich den Kram hin und geh mit sofortiger Wirkung in den vorzeitigen Ruhestand«, brummt Fred.
28
Schwer und tief hängen die Wolken über dem Oudie-See in Daalmeer. Maaike steht auf der Uferwiese, die Hände tief in den Taschen ihrer roten Daunenjacke vergraben, durch die allmählich die Kälte dringt. Immer wieder bläst der Wind ihr das Haar ins Gesicht. Sie sucht in ihrer Handtasche nach einem Gummiband, und als sie keines findet, streicht sie sich die Strähnen fest hinter die Ohren.
Hier muss es passiert sein, auch wenn nirgends Blut zu sehen ist. Wahrscheinlich hat der Regen es weggespült, oder es ist in den feuchten Boden eingesickert. Trotzdem, etwa hier muss die Tat geschehen sein, sie ist sich ganz sicher.
Vorhin war sie bei dem Autohaus, in dem Julian van Schaiks Leiche gefunden wurde. Auch dort hat sie sich vorgestellt, wie Tamara ihrem Opfer auflauerte und plötzlich zuschlug. Ob sie wohl angespannt und nervös war? Nein, denkt Maaike, eher nicht. Wie sie Tamara kennt, hat sie entschlossen und ohne jeden Skrupel ihre Aufgabe erledigt. Denn so dürfte sie ihre Taten sehen: als Aufgabe.
Sosehr die Morde sie auch schockiert haben, Maaike kann nicht leugnen, dass sie Tamara viel zu verdanken hat. Sie hat es ihr ermöglicht, den Schmerz aus ihrem Leben oftmals auszublenden. Obwohl sie einander überhaupt nicht ähnlich sind, ja, sich nicht einmal mögen, haben sie einen unverbrüchlichen Pakt geschlossen. Der schicksalhafte Abend vor zwölf Jahren hat sie zusammengeführt. Es tut gut, dass da jemand ist, der genau weiß, wie sie sich fühlt und der ihr versichert, dass sie keine Schuld trifft. Eine Art Freundin, die in der ersten schweren Zeit an ihrer Seite war. Dass Tamara Rache nehmen würde, stand mehr oder weniger fest. Während sie selbst sich immer stärker abkapselte und psychologische Hilfe brauchte, empfand Tamara in erster Linie Wut – eine Wut, die sie veranlasste, an einem Selbstverteidigungskurs teilzunehmen, Karate und Kickboxen zu lernen und jeden Mann, der sich ihr näherte, in die Schranken zu weisen. Meist reichte ein gezielter Tritt, um aufdringliche Typen in die Flucht zu schlagen. Maaike hat dadurch gelernt, dass Wut eine gefährliche Waffe sein kann.
Es fällt ihr schwer, anderen Menschen zu vertrauen, vor allem im Beisein von Männern fühlt sie sich schnell unsicher und unbehaglich. Wohl fühlt sie sich nur zu Hause bei ihren geliebten Bildern. Sie hat kein Bedürfnis, sich zu verabreden, auf Partys oder anderweitig auszugehen. Schon die Aussicht, sich auf eine größere Gruppe Leute einlassen zu müssen, verursacht ihr Stress.
Mit den Kommilitonen von der Kunstschule hat sie keinen Kontakt mehr. Bis auf Daniela, der es gelungen ist, ihren Panzer aufzubrechen. Mit ihrem aufmerksamen, lieben Wesen hat sie Maaike irgendwann zum Reden gebracht. Anfangs hat es ihr Angst gemacht, dass Daniela so viel über sie weiß, doch allmählich wurde ihr klar, dass sie absolut vertrauenswürdig ist.
Fragt sich nur, ob das auch jetzt noch gilt. Womöglich geht Daniela zur Polizei und verrät Tamara – was Maaike ihr nicht einmal verübeln könnte. Sie selbst jedoch hält an ihrer Loyalität Tamara gegenüber fest, weil sie nicht anders kann.
Der kalte Wind hat ihr Gesicht erstarren lassen. Maaike dreht sich um und geht zurück zum Weg, wo sie ihr Rad abgestellt hat. Es ist ein altes, klappriges Ding, das sie gebraucht gekauft hat, und sie benutzt es auch nicht oft. Wer weiß, vielleicht wird sie es bald nicht mehr brauchen. Es ist Zeit fortzugehen, das spürt sie deutlich.
Tief über den Lenker gebeugt, fährt sie bei Gegenwind nach Hause. Sie ist so in Gedanken versunken, dass sie erst nach einer Weile merkt, dass sie falsch abgebogen ist. Verwirrt bremst sie, steigt ab und liest das Straßenschild: Zeglis. Rechts sieht sie eine Reihe ehemaliger Arbeiterhäuschen, links den Noordhollands-Kanal, auf dem die Schiffe bis zur Altstadt fahren können. Am Kai sind ein paar
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