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Was sie nicht weiss

Was sie nicht weiss

Titel: Was sie nicht weiss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone van Der Vlugt
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Partyboote vertäut, die man für Feiern mieten kann, ansonsten gibt es wenig zu sehen. Was macht sie hier?
    Sie lässt den Blick über die Häuser gleiten. Ihre niedrigen Giebel scheinen sich vor dem Wind zu ducken. Und plötzlich fällt es ihr ein: Sie war schon ein paarmal hier, auch zufällig.
    So etwas passiert immer wieder. Ihr Zeitgefühl versagt, und sie kann sich nicht erinnern, was sie die letzten Stunden gemacht hat, wie sie an einen bestimmten Ort gekommen ist und was sie dort will. Meist dauert es eine ganze Weile, bis sie wieder ganz bei sich ist und sich orientieren kann. Ihr Therapeut meinte, die Erinnerungslücken rührten von einer Posttraumatischen Belastungsstörung her.
    Nun weiß sie auch wieder, warum sie sich in dieser Straße wiedergefunden hat: In dem Haus, vor dem sie steht, wohnt Tamara.
    Maaike späht durch ein Fenster, kann aber kaum etwas erkennen. Sie lehnt ihr Rad an die Hauswand und schiebt die eiskalten Hände in die Jackentaschen. Ihre rechte Hand bekommt einen Schlüssel zu fassen, und sie holt ihn heraus.
    Weder der Schlüssel selbst noch der Anhänger kommen ihr bekannt vor. Sie will ihn gerade ins Schloss stecken, da geht die Tür des Nebenhauses auf, und eine dicke Frau mittleren Alters kommt heraus. Sie trägt eine wattierte Winterjacke, schwarze Leggins und billige nachgemachte Ugg-Boots. Ihr dunkel gefärbtes Haar hat einen grauen Ansatz und ist schlampig mit einer Klemme hochgesteckt.
    »Tag«, sagt sie. »Wie das wieder windet! Sie sehen ganz verfroren aus. Waren wohl lang mit dem Rad unterwegs, was?«
    »Ziemlich, ja«, sagt Maaike zögernd.
    »Tasse Tee zum Aufwärmen?«
    »Ein andermal gern. Ich hab noch zu tun.«
    »Tja, die Arbeit. Sie sind ja so selten zu Hause, oft nicht mal abends. Wissen Sie was? Kaufen Sie sich doch eine Zeitschaltuhr, damit ab und zu Licht bei Ihnen brennt. Wenn’s immer dunkel ist, lockt das die Einbrecher an.«
    Maaike nickt, lächelt der Frau flüchtig zu und geht ins Haus. Erleichtert schließt sie die Tür hinter sich.
    Obwohl sie den Schlüssel zu diesem Haus in der Tasche hatte, kommt sie sich vor wie ein Eindringling. Andererseits ist es die Gelegenheit, sich hier umzusehen. Vielleicht liegt ja etwas herum, ein letzter Beweis, dass Tamara hinter den Morden steckt. Sie braucht Gewissheit, für sich selbst.
    Mit heftig klopfendem Herzen öffnet sie die Tür zum Wohnzimmer. Als Erstes fallen ihr die Fotos auf. An jeder Wand sind Schwarz-Weiß-Fotos auf die vergilbte Tapete ge klebt. Ansichten von Alkmaar und anderen Städten, in denen sie gewohnt hat, dazu Porträts von Menschen, die allesamt der Unterschicht angehören: Penner, Säufer, Junks … Mürrisch, gleichgültig oder wie ertappt blicken sie in die Kamera. Die Fotos sind gut, dennoch deprimiert ihr Anblick.
    Langsam geht Maaike durch den Raum. Auf eine gediegene Einrichtung legt Tamara anscheinend keinen Wert. Die Möbel wirken wie vom Sperrmüll, sind alt und angestoßen, passen nicht zusammen. Nirgends ist ein hübscher Dekogegenstand zu sehen, auch keine Zimmerpflanze. Das einzig Wertvolle im Zimmer ist die Kamera, die auf dem Esstisch liegt.
    Maaike betritt die kleine, schmale Küche und öffnet den Kühlschrank. Er enthält hauptsächlich Flaschen: Bier und Wein, auch Schnaps ist dabei. Das Gemüsefach ist leer, auf den Ablagen stehen zwei, drei Tupperdosen mit Essensresten.
    Als Nächstes zieht Maaike eine Schublade auf und betrachtet das Besteck, vor allem die großen Messer. Eines nach dem anderen nimmt sie heraus und inspiziert es. Blitzsauber, keine Blutspuren. Was hat sie auch erwartet? Dass da ein Messer mit blutiger Klinge liegt?
    Sie schließt die Lade, tritt ans Fenster und blickt auf den tristen Hinterhof hinaus. Auf den Steinplatten vor dem Fenster liegen unzählige Zigarettenkippen.
    Plötzlich wird ihr schwindlig, und sie sucht Halt an der Arbeitsplatte. Es wäre besser, schnell zu gehen, keine Frage, doch sie ignoriert das Gefühl. Erst muss sie noch oben nachsehen.
    Bevor sie es sich anders überlegen kann, geht sie rasch die Treppe hinauf, schaut kurz ins Bad, dann in die zwei Zimmer. Das kleinere ist vollkommen leer, im größeren liegt eine Matratze mit Bettzeug auf dem Fußboden, und an der Wand stehen zwei Koffer und ein offener Umzugskarton, der Kleidung enthält.
    Mit fliegenden Fingern durchwühlt Maaike den Karton, doch außer schwarzen Kleidungsstücken, wie sie auch Goths tragen könnten, findet sie nichts – kein einziges blutbespritztes Teil.

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