Was sie nicht weiss
hast Maaike Freundschaft vorgeheuchelt, damit sie Vertrauen zu dir fasst, aber im Grunde wolltest du sie ausnutzen. Als Mensch war sie dir scheißegal, du hattest es nur auf ihre Bilder abgesehen. Und du hast gut an ihr verdient. Mich würde interessieren, wie viel von den Einnahmen auf ihrem Konto gelandet ist. Sehr viel weniger als auf deinem, schätze ich.«
»Das ist nicht wahr.« Daniela bewegt sich langsam in Richtung Tür und sieht jetzt, was Tamara in der Hand hält: eine Schere. »Ich hab Maaike immer fair behandelt, du kannst dir gern die Abrechnungen ansehen.«
»Zahlen interessieren mich nicht, ich verlasse mich auf mein Gefühl, das hat mich noch nie getrogen.«
Im Zurückgehen zerrt Daniela ihre Tasche vom Sofa und hält sie wie einen Schild vor sich.
»Sei vernünftig und leg die Schere weg.« Ruhig und mit fester Stimme wollte sie sprechen, um Tamara zur Räson zu bringen, doch der Satz kommt zittrig.
»Du kennst mich doch«, versucht sie es erneut. »Ich weiß schon so lange von dir und hab nie ein Wort gesagt. Das werde ich auch jetzt nicht tun.«
Die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen, fixiert Tamara sie. »Das soll ich glauben? Vorhin hast du was ganz anderes gesagt.«
»Das war nicht so gemeint, ich will Maaike doch nicht in Schwierigkeiten bringen. Sie ist meine Freundin, ich hab sie gern.«
»Ich auch. Und deshalb gehe ich kein Risiko ein.«
Als sie sich mit erhobener Schere auf Daniela stürzen will, hat diese die Tür erreicht, reißt sie auf und rennt zur Treppe. Sie hat den Fuß bereits auf der ersten Stufe, da wird sie von hinten gepackt.
Daniela schreit gellend um Hilfe. Im nächsten Moment versetzt Tamara ihr mit aller Kraft einen Tritt in den Rücken.
Im Stürzen verflucht Daniela den Tag vor vielen Jahren, an dem Maaike sich ihr anvertraute und sie zu schweigen beschloss.
Wider Erwarten verliert sie nicht das Bewusstsein, als sie mit dem Kopf voran auf den Fliesen am Eingang landet.
Sie hört Tamara langsam die Treppe herabkommen und beginnt vor Angst zu keuchen. Beim Versuch, sich hochzustemmen, durchzuckt ein scharfer Schmerz ihren Arm. Sie stößt einen Schrei aus und sinkt zurück.
Jetzt steht Tamara neben ihr. Die Hände in den Hüften, blickt sie schweigend auf sie herab.
»Ich verrate dich nicht, das schwör ich. Kein Wort kommt über meine Lippen.« Daniela steht der Schweiß auf der Stirn. Sie macht den Fehler, sich zu bewegen. Mühsam versucht sie, die Schmerzen zu verbeißen, und schließt die Augen.
Als sie sie wieder öffnet, ist Tamara verschwunden. Ob sie es sich anders überlegt hat und Hilfe ruft?
Dieser Hoffnungsfunke lässt Danielas Herz schneller schlagen, aber zugleich ist es, als wollte ihr Unterbewusstsein sie warnen.
Minuten später kommt Tamara wieder die Treppe herab, eine Plastiktüte in der Hand.
Flehend blickt Daniela ihr entgegen.
»Ruf einen Krankenwagen, bitte. Ich glaube, mein Arm ist gebrochen«, flüstert sie.
»Ganz sicher sogar, bei dem Sturz. Mich wundert, dass du überhaupt noch lebst.« Tamara nimmt die Tüte in beide Hände und spannt das Plastik, wie um seine Dehnbarkeit zu prüfen.
Danielas Augen weiten sich. »Was … was willst du mit dem Ding?«
»Dich von deinen Schmerzen erlösen. Am besten, du wehrst dich nicht, sonst muss ich härtere Maßnahmen ergreifen.«
Sie geht in die Hocke und legt die Tüte über Danielas Gesicht.
»Nicht! Bitte nicht! Hilft mir denn keiner? Hilfe!«
Das Plastik wird über Nase und Mund gespannt, so fest, dass Danielas nächster Hilferuf nur noch ein schwaches Gurgeln ist.
Mit dem Mut der Verzweiflung hebt sie den unverletzten Arm und versucht, Tamara zu kratzen, an den Haaren zu ziehen, ihr einen Finger ins Auge zu stechen.
Kaltblütig setzt diese das Knie auf Danielas gebrochenen Arm und drückt ihn zu Boden. Der Schmerz steigert sich ins Unermessliche, Daniela verliert das Bewusstsein.
Jetzt hat Tamara freie Bahn. Sie braucht nur noch zu warten, bis kein Atemzug mehr das Plastik hebt.
31
»Ich kann dich gar nicht mehr erreichen«, klagt Tessa. »Weißt du überhaupt, wie oft ich dir die letzten Tage auf den AB gesprochen habe?«
Lois weiß es. Heute, am Samstag, hat sie den Nachmittag frei. Einen Teil der Nachrichten hat sie abgehört, während sie in der Küche ein Glas Saft trank, den Rest auf dem Weg nach oben, bis das Plätschern der Dusche Tessas Stimme übertönte.
Jetzt sitzt sie in ihren Lieblingsjeans und einer grauen Wi ckeljacke auf dem Sofa und telefoniert mit
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