Was sie nicht weiss
ihrer Schwester.
»Wir stecken mitten in einer Ermittlung, das weißt du doch«, sagt sie.
»Na und? Darf man da nicht mehr Luft holen, oder was?«
»Doch, aber nur, um weiterarbeiten zu können.«
»An Silvester auch?«
»Kann gut sein, jedenfalls hab ich Bereitschaft.«
Tessa seufzt resigniert. »Ich muss mit dir reden«, sagt sie dann.
»Ich weiß, wegen Mamas Grab.«
»Das ist längst geregelt!« Der Tonfall lässt vermuten, dass Tessa ungeduldig mit der Hand wedelt. »Ich hab die Ruhefrist um zehn Jahre verlängert. Und wegen der Kosten brauchst du dir keine Sorgen zu machen, die übernehme ich.«
»Ich hatte eher den Eindruck, dass es dir um die Kosten ging.« Mit der freien Hand sortiert Lois die Post der letzten Zeit. Sie muss dringend Ordnung schaffen und vor allem ihre Überweisungen erledigen, damit nicht eines Tages der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht.
»Ach was«, sagt Tessa. »Aber darüber will ich jetzt nicht streiten. Es geht um etwas ganz anderes: Ich hab eine Überraschung für dich!«
»Was denn?« Vergeblich versucht Lois, einhändig ein Schreiben vom Finanzamt zu öffnen. Tessas letzte »Überraschung« war ein Schönheitstag. Sie hatte eine Friseurin, eine Nageldesignerin und eine Farbberaterin kommen lassen, die Lois einen neuen Look verpassen sollten. Zum Zuge gekommen war nur die Friseurin, und Lois konnte nicht leugnen, dass ihr der Pagenschnitt bedeutend besser stand als das über den Rücken fallende Haar. Inzwischen trägt sie es wieder etwas länger, damit es für einen Pferdeschwanz reicht.
»Wird nicht verraten, aber halt dir bitte den 5. März frei.«
»Versprechen kann ich das nicht«, sagt Lois, »schon gar nicht, wenn ich nicht weiß, worum es geht.«
»Na gut: Komm nachher vorbei, dann zeige ich dir den Prospekt.«
»Okay, um halb fünf bin ich da. Vorher muss ich mich noch um meine Post kümmern, hier hat sich ein ganzer Stapel angesammelt.«
»Super, dann mach das mal, und ich besorge Gambas als Snack«, sagt Tessa erfreut.
Die nächsten zwei Stunden verbringt Lois damit, ihre Wohnung oberflächlich aufzuräumen, dann setzt sie sich an den Computer und erledigt per Online-Banking ihre Überweisungen.
Um Viertel nach vier verlässt sie das Haus und setzt sich ins Auto. Tessa legt großen Wert auf Pünktlichkeit, und Lois hat absolut keine Lust, wegen ein paar Minuten Verspätung einen Streit zu riskieren.
Wie immer, wenn sie die Eeuwigelaan entlangfährt und auf das Grundstück mit der imposanten weißen Villa abbiegt, kommt es ihr unwirklich vor, dass es ihre Schwester in solch vornehme Kreise verschlagen hat.
Sie parkt ihren Seat Ibiza zwischen Tessas Mercedes und Guidos Hummer-Geländewagen. Als sie auf das Haus zugeht, wartet ihre Schwester bereits an der Tür.
»Hallo!«, ruft sie und winkt mit beiden Armen, sodass Lois sich fest vornimmt, begeistert auf die Überraschung zu reagieren, was auch immer es sein mag.
»Ich freue mich so, dass du da bist!« Tessa küsst sie auf beide Wangen. »Weißt du, wenn Guido auf Reisen ist, rede ich manchmal tagelang mit keinem Menschen.«
»Wie das denn? Du hast doch jede Menge Freundinnen. Gehst du mit denen nicht shoppen oder Kaffee trinken?«
»Doch, aber das mache ich ja nicht ständig. Drei, vier Tage die Woche hocke ich hier ganz allein rum. Manchmal fällt mir wirklich die Decke auf den Kopf.«
»Wenn du dich langweilst oder einsam fühlst, warum arbeitest du dann nicht? Du könntest dir einen Halbtagsjob suchen.«
Tessa zuckt die Schultern. »Guido wäre das nicht recht.«
»Das ist doch deine eigene Entscheidung, und außerdem wüsste ich nicht, was es dagegen einzuwenden gibt.«
Tessa geht nicht darauf ein, sondern sagt: »Komm, wir setzen uns in die Küche, dort hab ich alles vorbereitet.«
Auf dem Weg durch das saalartige Wohnzimmer mit den zwei Sitzecken und den hellen Möbeln im Landhausstil fragt Lois sich, wie viele Abende Tessa und ihr Mann wohl hier gemeinsam verbringen. Der Raum ist äußerst geschmackvoll eingerichtet, wirkt aber, als würde er nie genutzt.
»Warum will Guido denn nicht, dass du arbeitest?«, hakt Lois nach, als sie in der gemütlichen Wohnküche am Tisch sitzt.
Tessa antwortet nicht, sie schenkt zwei Gläser Prosecco ein und stellt sie neben die Platten mit Gambas, Toast und Tapenade.
»Ich trinke keinen Alkohol, das weißt du doch«, sagt Lois.
»Nun hab dich nicht so. Ein Glas wird dich schon nicht umbringen.«
»Ich möchte trotzdem lieber Wasser.«
Tessa
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