Was sie nicht weiss
hübschen Erker.
Tamara betrachtet es aufmerksam. Die Jalousien im Erdgeschoss sind heruntergelassen, vielleicht ein Zeichen dafür, dass keiner zu Hause ist, und es kommt auch kein Rauch aus dem Schornstein.
Sie geht durch den Vorgarten und klingelt. Ein melodisches Bimmeln schallt durch den Flur, aber niemand öffnet. Tamara versucht es erneut und späht, als wieder alles still bleibt, durch den Briefschlitz. Auf der Fußmatte liegt ein Stapel Papier. Sehr gut, anscheinend ist kein Nachbar beauftragt, sich um Post und Zimmerpflanzen zu kümmern.
Sie tritt ein paar Schritte zurück und blickt an der Fassade hoch. Kein Fenster auf Kipp.
Tamara verlässt den Vorgarten und geht zum Durchgang neben dem Haus, in dem mehrere Mülltonnen stehen. Hier kommt kaum Sonne hin; in den Ritzen der feuchten Bodenplatten wächst Moos.
Die Holztür zum Garten hat schon bessere Zeiten erlebt. Tamara probiert die Klinke, aber so alt die Tür auch sein mag, sie gibt nicht nach. Durch einen Spalt ist zu sehen, dass sie von innen verriegelt ist.
Tamara stellt ihre Reisetasche ab. Dann schiebt sie eine der Mülltonnen vor die Tür und legt eine zweite als Aufstieg quer davor. Sie klettert hinauf, steigt über die Tür hinweg und lässt sich an der anderen Seite hinab.
Der Garten ist ziemlich zugewuchert und wird von schlecht geschnittenen Sträuchern gesäumt. Im Sommer würden diese sie vor Blicken der Nachbarn schützen, jetzt aber sind ihre Zweige kahl.
Sie muss sich beeilen.
Hastig öffnet Tamara den rostigen Riegel und tritt wieder in den Durchgang. Dort räumt sie die Mülleimer zurück, nimmt ihre Tasche, geht in den Garten und verriegelt die Tür hinter sich.
Jetzt muss sie nur noch ins Haus kommen. Die meisten Leute verstecken für den Notfall einen Reserveschüssel im Freien und sind dabei oft nicht allzu erfinderisch. Vielleicht ist das auch hier der Fall?
Tamara dreht leere Blumentöpfe um, inspiziert den gemauerten Grill auf der Terrasse, späht in Mauerspalten und prüft, ob vielleicht eine der Steinplatten lose ist. Ohne Erfolg. Nirgends ist ein Schlüssel versteckt, es sei denn so gut, dass kein Mensch ihn finden kann.
Vor einem schmalen Fenster, das wohl zu einem Kellerraum gehört, geht sie in die Hocke und schätzt Höhe und Breite. Ob sie durchpasst? Doch, es könnte klappen, sie ist ja zierlich.
Am Rand der Terrasse findet sie mehrere Steine. Mit einem davon wirft sie die Scheibe ein, danach klopft sie mit einem anderen die Glaszacken rundum aus dem Rahmen.
Sie schiebt die Beine durch das Fenster. Ihre Tasche wird sie später holen, die wäre jetzt nur hinderlich.
Einem Schlangenmenschen gleich, zwängt sie sich Zentimeter um Zentimeter durch die Öffnung. Plötzlich steckt sie fest, halb im Freien, halb im Keller. Sie hält die Luft an, versucht es erneut und schrammt sich dabei den Rücken.
Mit einem Mal ist der Widerstand jedoch überwunden, sie gleitet hinein und landet auf dem Kellerboden. Dummerweise inmitten der Glasscherben, und zu allem Überfluss verletzt sie sich beim Abstützen die Hand.
Sie wischt das Blut an ihren Jeans ab und steht auf. Das Glas knirscht unter ihren Schuhen, als sie die ersten Schritte macht.
Plötzlich fällt ihr ein, dass die Tür oben zur Wohnung ja auch abgeschlossen sein könnte.
Sie sucht die Treppe, hastet die Stufen hinauf und drückt die Klinke.
Offen, Gott sei Dank!
Die Tür führt zu einem Hauswirtschaftsraum mit Waschmaschine, Trockner, Bügelbrett und dergleichen. Von dort gelangt man in den Flur.
Es ist ein seltsames Gefühl, in einem fremden Haus umherzugehen, und einen Moment lang scheint die Stille um sie herum etwas Vorwurfsvolles zu haben. Unwillig schüttelt sie den Gedanken ab und wirft einen Blick ins Wohnzimmer. Helle Dielen, abstrakte Gemälde in leuchtenden Farben an den weißen Wänden, dazu exotische Dekogegenstände wie einige geschnitzte Holzmasken, die allerdings so gar nicht zu der nüchternen Einrichtung passen.
Als Nächstes geht Tamara die Treppe hinauf. Oben ist ein schmaler Flur, von dem drei Türen abgehen. Ins Bad, ins Schlafzimmer und ins Arbeitszimmer, wie sie feststellt. Auch hier Holzfußboden und weiße Raufaser. Weiß ist auch der große Schreibtisch, auf dem ein Computer steht. Sehr gut, den wird sie gleich brauchen.
Vorsichtig, als könnte jemand sie hören, geht sie wieder nach unten und ins Wohnzimmer. Durch die Ritzen der Jalousien dringt kaum Licht, und auch im hinteren Bereich, wo sich die offene Küche und der
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