Was sie nicht weiss
Also hat sie richtig getippt: Die Bewohner sind verreist.
Sie geht hin, bückt sich und zieht einen Brief aus dem Stapel. Er ist an Helen Groenenwoud adressiert.
Mit heftig klopfendem Herzen und bebenden Händen legt Maaike ihn wieder zurück. Handelt es sich etwa um die Helen, die sie aus Alkmaar kennt? Die hieß doch Groenenwoud … Sie gräbt in ihrem Gedächtnis, kann sich aber nicht an Helens Aussehen erinnern, geschweige denn daran, wie sie einander kennengelernt haben. Eventuell war es am Gymnasium.
Maaike geht wieder ins Wohnzimmer und nimmt eines der gerahmten Fotos von der Fensterbank. Eine junge Frau mit halblangem dunklem Haar lacht ihr entgegen. Sie steht zwischen zwei älteren Leuten – wahrscheinlich ihren Eltern – und hat die Arme um deren Schultern gelegt.
Auch die anderen Fotos zeigen Helen, einmal im Kreis von Freundinnen, dann mit einem Mann, der ein Kätzchen auf dem Arm hält.
Langsam kommen Erinnerungen hoch, an Helen und Remco, David und Julian.
Sie bekommt weiche Knie und beginnt zu hyperventilieren. Schnell setzt sie sich und versucht, ruhig und konzentriert zu atmen. Es hilft nichts. Sie braucht eine Plastiktüte, aber woher nehmen auf die Schnelle? Maaike formt mit den Händen eine Schale, schließt sie um den Mund und atmet hinein.
Ein, aus, ein, aus … Trotzdem wird ihr schwindlig, und der Atem geht immer schneller statt langsamer. Kurz bevor sie das Bewusstsein verliert, spürt sie, dass Tamara an ihre Stelle tritt.
47
Im Präsidium in der James Wattstraat herrscht Hochbetrieb. Dass die Mordverdächtige entkommen ist, drückt allen auf die Laune – daran ändern auch die leckeren Silvesterkrapfen nichts, die Ramon für seine Leute hat besorgen lassen.
Er selbst ist stinkwütend und genervt, unter seinen Achseln zeichnen sich Schweißflecken auf dem Hemd ab.
»Wie soll ich das bloß der Staatsanwältin erklären?«, poltert er. »Und vor allem: Wo steckt die Frau jetzt? Sie kann überall und nirgends sein!«
Er knallt eine dicke Akte auf seinen Schreibtisch. Durch die Erschütterung fällt prompt sein Kaffeebecher um.
»Verdammt noch mal!« Er zückt ein Papiertaschentuch, um die braune Brühe aufzutupfen.
»In ein paar Tagen haben wir sie garantiert«, beschwichtigt Fred. »Es hat wenig Sinn, dass wir jetzt überall und nirgends suchen. Besser wäre es, wir lauern ihr auf wie die Spinne im Netz. Sobald Helen Groenenwoud zu Hause ist, wird sie bei ihr auftauchen.«
»Wann kommt sie denn zurück?«, fragt Ramon mit nach wie vor bärbeißiger Miene.
»In drei Tagen«, sagt Lois. »Ich habe mit ihren Eltern telefoniert. Sie haben mir Ankunftszeit und Flugnummer genannt, ihre Telefonnummer natürlich auch, aber sie hat das Handy ausgeschaltet. Claudien versucht gerade, sie über die Zentrale der KLM zu erreichen.«
»Wir müssen jemanden abstellen, der das Haus überwacht«, meint Fred.
»Woher soll ich genug Leute dafür nehmen? Die hal be Mannschaft liegt flach mit Grippe, dazu noch die Urlaubszeit. Wir sehen besser zu, dass wir mehr über diese Groenenwoud herausfinden und sie vor allem er reichen.«
»Ich kann mit Fred hinfahren und die Nachbarn fragen«, bietet Lois an. »Vielleicht war Tamara schon dort, und jemand hat das beobachtet.«
»Meiner Meinung nach bringt das nichts, wir wissen doch, wie unscheinbar Tamara sich zu machen versteht. Besser, ihr telefoniert erst mal mit den Hotels und Pensionen in … in … wo wohnt diese Stewardess doch gleich?«
»In Amstelveen.«
»Amstelveen und Umgebung also. Irgendwo muss sie ja übernachten. Fangt gleich an und vergesst nicht den Bericht über unseren heutigen Einsatz.«
Ramon wedelt ungeduldig mit der Hand, zum Zeichen, dass sie gehen können.
»Mag sein, dass Ramon recht hat«, sagt Lois auf dem Flur zu Fred. »Ich würde mich aber trotzdem gern mal in der Straße umhören.«
»Gibt es in der Nähe ein Hotel?«
»Das muss ich noch recherchieren. Aber wenn du mich fragst, wird sie kein Risiko eingehen. Bestimmt wechselt sie täglich die Unterkunft.«
»Gut möglich. Jedenfalls sollten wir uns an Ramons Anweisung halten. Dass sie sich jetzt schon in der Straße rumtreibt, kann ich mir nicht vorstellen.«
»Sie denkt anders als wir«, sagt Lois. »Vergiss das nicht.«
Wieder am Schreibtisch, ruft Lois ohne Ergebnis eine ganze Reihe Hotels in Amstelveen an und verfasst dann zusammen mit Fred den Einsatzbericht.
Früher als die letzten Tage macht sie sich auf den Nachhauseweg. Eigentlich hätte sie noch
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