Was Sie schon immer über 6 wissen wollten
schreibt Robert Kaplan in Die Geschichte der Null . Diese archaischen, aber gut eingeübten workarounds halfen den ganz normalen Nordeuropäern dabei, die seit der Renaissance mit Macht herandrängenden, auf arabischen Ziffern basierenden Rechen- und Aufschreibesysteme noch bis weit ins 19. Jahrhundert hinein effektiv aus ihrem Alltag fernzuhalten.
Aus der Anatomie des Menschen – den zehn Fingern der beiden Hände – leitet sich offenbar auf natürliche Weise das Dezimalsystem ab. Und dem Fingerzählen entstammt auch das englische Wort „digit“, das sowohl den Finger als auch die Ziffer bezeichnet. Die Geschichteder Zählsysteme macht aber deutlich, dass der Mensch beim Zählen keineswegs auf die Finger beschränkt ist. Neben dem Dezimalsystem gibt es ältere Systeme, die ebenfalls mit der menschlichen Anatomie in Verbindung stehen und noch bis in die Gegenwart durchscheinen. Die Maya etwa wählten die 20 als Basis ihres Zahlensystems. Sie zählten mit Fingern und Zehen. Relikte eines Zwanzigersystems finden sich auch in den französischen Zahlwörtern, wo 80 als „quatre-vingt“ also vier(mal)-zwanzig bezeichnet wird. Andere Urvölker beziehen noch weitere Körperteile ein. So zeigen etwa die Insulaner der Torres-Straße zwischen Australien und Papua-Neuguinea in einer festgelegten Reihenfolge auf Finger, Handgelenk, Ellenbogen, Hüfte, Knie, Knöchel, Zehen und so weiter und können so bis 33 zählen.
Auch mit den Fingern kann man anders zählen als nur bis zehn. Beim System der Zählkreise gilt der Daumen nicht als Finger, sondern als Zähler. Gezählt wird hier in Runden vom kleinen Finger bis zum Zeigefinger und zurück. Erreicht man den Zeigefinger und damit die 4, geht es wieder zurück zum Mittelfinger (5), Ringfinger (6), kleinen Finger (7) und immer so weiter. „Der Daumen läuft an den Fingern der Hand herauf und herunter. So entsteht der Zahlenkranz 1 – 4 – 7 als erster voller Zählkreis der Finger an einer Hand“, schreibt der Rechts- und Zahlenhistoriker Bernhard Großfeld in Zauber des Rechts : „Das findet sich heute noch gelegentlich in Westfalen: Gärtner zählen mitunter auf diese Weise die von ihnen gepflanzten Reihen. Da die linke Hand die Schaufel trägt, bleibt nur die rechte Hand, um mit Hilfe des Daumens an den Fingern zu zählen. Das führt zu Siebenerreihen, in denen die Pflanzen auch gesetzt werden“ Die Wendezahlen, an denen das Zählen die Richtung wechselt, markieren die Zählkreise. Die 7 und die 13 beenden den ersten und zweiten Zählkreis, was einer der Gründe für die besondere symbolische Bedeutung ist, die diesen beiden Zahlen in vielen Kulturen zugesprochen wird, wie Großfeld meint.
Die gestische Variationsbreite unterschiedlicher Fingerzähltechniken kann man auch noch an anderen Phänomenen beobachten: In der angelsächsischen Welt zeigt man die 3 mit Zeigefinger, Mittelfinger und Ringfinger an, während Kontinentaleuropäer dazu den Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger nutzen. In Quentin Tarantinos Inglourious Basterds wird dies dem als deutscher Offizier getarnten britischen Undercover-Agenten Archie Hicox zum Verhängnis, als er in einerSpelunke drei Drinks auf anglo-amerikanische Art bestellt und so einem gewieften SS-Mann seine wahre Herkunft verrät.
Aus dem Orient und dem fernen Osten stammt ein Zwölfersystem, bei dem nicht die Finger, sondern die einzelnen Fingerglieder zum Abzählen benutzt werden. Der Daumen dient auch hier als Zähler, mit dem man auf die einzelnen Glieder der Finger zeigt, angefangen beim obersten Glied des kleinen Fingers, das die 1 repräsentiert, gefolgt vom zweiten und dritten Glied für die 2 und die 3. Für die 4 wechselt man zum obersten Glied des Ringfingers und so fort, bis man schließlich am untersten Glied des Zeigefingers und bei der Zahl 12 angelangt ist. In Indonesien ist es teilweise noch immer gebräuchlich, auf diese Art zu zählen.
Nimmt man die zweite Hand zur Hilfe, von der man jeweils einen Finger abknickt, wenn ein Dutzend voll ist, gelangt man bis zur 60.Ob es diese Technik war, die vor über 5.000 Jahren die Sumerer auf die Idee eines Zählsystems auf der Grundlage der 60 brachte, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Andere Erklärungsansätze verweisen darauf, dass im sumerischen Kalender ein Jahr 360 Tage umfasste und deshalb die 60 als Grundwert nahelag. Was auch immer die Ursache dieser einzigartigen Zählweise war, die Sumerer zählten mit der 60 als Grundeinheit und zogen die 10 als
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