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Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Was Sie schon immer über 6 wissen wollten

Titel: Was Sie schon immer über 6 wissen wollten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holm Friebe
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in römische Zahlen oder Wörter in seine Bücher. Die neuen Symbole verdrängten langsam beides.  [...] Sie lungerten an der Hintertür herum, tauchten auf Listen von Warenrechnungen auf, die in Geschäftsbücher übertragen wurden, wo jedoch vorerst wieder die alte Garde übernahm und die Eintragung auf die alte Weise schrieb.“
    Dass sich die indisch-arabischen Ziffern trotz solcher Startschwierigkeiten schließlich durchsetzen und zum weltweiten Standard werden konnten, spricht nicht für die evolutorische Überlegenheit des Dezimalsystems, wohl aber für den Vorteil eines Stellenwertsystems mit beweglicher 0. Genauso gut hätte man auch die 12 als Basis nehmen können. Der Startvorteil des indisch-arabischen Blocks und damit des Dezimalsystems bestand allein darin, dass es nun schon einmal da war und nicht erst erfunden werden musste. Seinen großen Durchbruch hatte es mit der Einführung des metrischen Systems während der Französischen Revolution und der knapp hundert Jahre später erfolgten Unterzeichnung der Meterkonvention durch zunächst 17 Staaten.
    Seither verläuft der Siegeszug der 10 mancherorts zwar schleppend, aber stetig. Ihr unaufhaltsamer Vormarsch ist – ökonomisch gesprochen – Netzwerkeffekten geschuldet. Das Metcalfesche Gesetz – benannt nach dem Informatiker und Internetpionier Robert Metcalfe – besagt: Wie beim Telefonnetz steigt der Wert eines Netzes für alle Beteiligten mit jedem weiteren Knoten oder Anschluss. In einer vernetzten Weltwirtschaft setzen sich globale Standards durch, weil sie die Koordinations- und Abstimmungskosten aller Beteiligten minimieren. Deshalb checken immer mehr Länder ins metrische System ein, und die Weltkarte der Länder, die sich offiziell diesen Maßeinheiten verweigern, ist zusammengeschrumpft auf die gallischen Dörfer Myanmar, Liberia – und die USA.
    Dennoch zeichnen sich auch im weltumspannenden Reich des Dezimalsystems unter dem offiziellen Firnis immer noch deutlich die Rudimente und Konturen älterer Zählsysteme ab. Noch heute hört man alte Frauen in Berlin zu einem 5-Cent-Stück „Sechser“ sagen, was darauf zurückgeht, dass der halbe Silbergroschen der PreußischenGoldmark sechs Pfennige galt. Auf dem Wochenmarkt kauft man eher ein halbes Pfund Hackfleisch als 250 Gramm und ein Dutzend statt zwölf Eier. Selbst im Supermarkt stehen bei den Eiern Sechserpack und Zehnerpack gleichberechtigt nebeneinander.
    Den stärksten kulturellen Nachhall – vielleicht ein Echo der alten Fingerzählweise – verursachen die vielen traditionellen Maß- und Gewichtseinheiten, die die 12 und nicht die 10 als Basis haben: Zwölf sind ein Dutzend, zwölf Dutzend ein Gros, zwölf Gros sind ein Maß oder Großgros, also 12 x 12 x 12 = 1.728 Stück (davon leitet sich der Begriff des Grossisten ab). Zwölf Zoll sind ein Fuß. Auch die Tageseinteilung in zwei mal zwölf Stunden hat anders als das Jahr oder der Monat keinerlei astronomisch zwingende Gründe.
    In England und den USA haben sich die Zwölfersysteme länger gehalten als in Kontinentaleuropa. So wurde in Großbritannien erst 1971 das Münzsystem von 12 Pence = 1 Schilling und 20 Schilling = 1 Pfund Sterling auf das Dezimalsystem (100 Pence = 1 Pfund Sterling) umgestellt. Überhaupt macht die angelsächsische Welt wenig Anstalten, sich endgültig vom Maßsystem der Inches, Feet, Yards und Meilen zugunsten des vereinheitlichten metrischen Systems auf 10er-Basis zu verabschieden. Im besten Fall wird Letzteres im Alltag einfach ignoriert. Die Dozenal Society of Great Britain und die Dozenal Society of America dagegen plädieren – mit mathematischen und alltagspraktischen Argumenten – gleich ganz für die Abschaffung des Dezimalsystems und die Einführung eines universalen Duodezimalsystems mit der 12 als Basis und eigenen Ziffern für die Zahlen 10 und 11. Doch sie stehen auf ähnlich verlorenem Posten wie die Anhänger der künstlichen Weltsprache Esperanto.
    Umgekehrt sind auch der Durchdringung mit dem Dezimalsystem Grenzen gesetzt. Schon der Versuch der Französischen Revolutionäre, den Kalender und die Zeitmessung in einem Aufwasch mit den Längen- und Gewichtsmaßen zu erledigen und an das angeblich der Vernunft entspringende Dezimalsystem anzupassen, erwies sich als Fehlschlag. Ihre dezimale Einteilung des Tages in 10 Stunden zu je 100 Minuten und 100 Sekunden wurde bereits 1795 nach weniger als zwei Jahren wieder abgeschafft. Die ebenfalls eingeführte 10-Tage-Woche konnte sich bis

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