Was soll denn aus ihr werden?
Vorhaben Ernst machen wollte, denn daß noch jemand da sei, der ihr in ihrer Not beistehen würde, das hatte die alte Maja nicht für möglich gehalten. Sie hatte nichts anderes vor sich gesehen, als daß sie mit den drei Kindern so fort machen müsse, bissie am Ende sei, was nicht lang dauern könne. Daß Dori ihr zu Hilfe kommen wollte, kam ihr wie ein Wunder vor, sie mußte immer noch einmal fragen, ob Dori auch wirklich so etwas im Sinne habe. Dori begehrte nun, daß Maja gleich an ihre eigene Arbeit gehe und ihr die drei Kinder überlasse, dann wollte sie schon zeigen, was sie im Sinne habe. Mit einem so tiefen Atemzug, als hätte sie schon lange keinen schöpfen können und müßte es jetzt nachholen, ging die alte Maja nach ihrer Küche hinaus, und mit so leichtem Schritt trug sie jetzt ihre zwei Kesselchen dem Bache zu, als wäre sie eben um zehn Jahre jünger geworden, denn nun konnte sie ja gehen, ohne daß drei Kinder an ihr hingen und sie dahin und dorthin rissen. Was ihren Schritt aber am leichtesten machte, das war das erleichterte Herz, in das einmal wieder die Hoffnung eingekehrt war, daß noch ein Fortkommen möglich sei, es wollte ihr ja jemand beistehen.
Die erste Unterrichtsstunde fing nicht so an, wie Dori es sich gedacht hatte. Giacomo stellte sich in eine Ecke und schaute Dori mit finstern, schwarzen Augen dann und wann rasch aufblitzend an und rührte sich nicht. Sie konnte freundlich oder ernsthaft ihn zu sich her an den Tisch rufen, auf dem die Griffel, die Lehrbücher, die ganze und die zerbrochene Schiefertafel ausgebreitet lagen, er kam nicht. Detto machte Purzelbäume, schlug die Stühle über den Haufen und versuchte auf dem Kopfe zu stehen. Die kleine Marietta schoß erst hin und her wie ein Kreisel, dann in die Kammer der Großmutter hinein, riß dort an den Bettstücken herum, bis eins nach dem andern am Boden lag. Dori konnte rufen soviel sie wollte, sie konnte den Kindern nachlaufen und sie mit aller Macht ziehen und festhalten wollen, es half alles nichts, die beiden waren völlig wie zwei kleine, wilde Katzen, die auf keine vernünftigen Worte hören. »Mit euch zweien will ich auch gar nichts mehr zu tun haben«, sagte Dori endlich voller Entrüstung, »mit euch kann man nichts machen. Giacomo ist doch noch ruhig.Komm doch endlich hierher zu mir, Giacomo«, rief sie dem Buben freundlich zu; »komm, ich erzähl' dir eine schöne Geschichte von einem Wolf und sieben Geißlein.«
Giacomo lehrte sich gegen die Wand, legte den Arm über seine Augen und kam nicht. Aber Detto hatte aufgehört Sprünge zu machen. Er kam jetzt neugierig heran und sagte: »Erzähl es mir.«
»Ja; das will ich. Komm auch, Marietta, hör die schöne Geschichte!« rief Dori lockend in die Kammer hinein, wo die Kleine noch immer fortriß, so daß bald das ganze Bett der Großmutter auf dem Boden sein mußte. Sie kam nicht. »So komm, Detto, du mußt die Geschichte hören, die andern lassen wir machen, was sie wollen, sie sind recht störrig. Es war einmal ein böser Wolf«, begann Dori.
»Warum war er bös?« unterbrach sie Detto.
»Ja, siehst du, er ist von Natur ein böses Tier und beißt alle Menschen, wo er sie antrifft«, fuhr Dori fort.
»Dann beiß' ich ihn auch«, sagte Detto drohend und zeigte die ganze Reihe seiner weißen Zähne.
»Das wirst du wohl bleiben lassen, wenn du ihn einmal siehst mit seinen furchtbar bösen Augen und der großen, roten Zunge, mit der er immer nach Blut lechzt.« Dori schilderte getreu nach dem lebhaften Eindrucke, den sie schon als kleines Kind vom Wolf in ihrem Bilderbuch empfangen hatte. »Ich will dir ihn dann einmal zeigen, Detto.«
«Jetzt! jetzt! zeig mir ihn jetzt!« drängte der Junge nun mit so erwartungsvollen, weit aufgerissenen Augen, daß Dori den Wunsch gewähren mußte. Sie lief schnell heim und kehrte alsbald mit einem großen Buch unter dem Arm zurück. Der Vater hatte ihr nur geschenkt, was ihm selbst gefiel, und das Buch mit den großen, farbigen Bildern war eine besonders schöne Weihnachtsgabe gewesen, die Dori immer noch hoch hielt. Sie schlug gleich das Blatt auf, wo der große, lechzende Wolf mit den glühenden Augen nach den Geißlein schaute. Detto warganz überwältigt, so etwas hatte er in seinem Leben nicht gesehn. Er hielt Dori an der Schürze fest und schaute unverwandt auf das lauernde Tier.
»Springt es nicht heraus?« fragte er leise.
Dori beruhigte ihn darüber, aber ganz nahe herantreten wollte er doch nicht.
«Frißt er
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