Was soll denn aus ihr werden?
Entschlafenen. Ja, solchen Händen konnte sie die Hülle ihres geliebten zweiten Vaters getrost überlassen. Am Abend desselben Tages trat Melchior noch bei Dorothea ein. Er hatte eine Nachricht zu bringen, die Dori heute noch wissen mußte, denn was mit Herrn von Aschen zusammenhing, ging sie ja hier am nächsten an, meinte Melchior. Er setzte sich zu den Frauen hin und erzählte ihnen, wie er nach Doris Weggehen den Entschlafenen nach seinem Lager getragen und hingelegt und dann nach dem Arzt gegangen sei, ihn zum letzten Besuch zu holen und um seinen Rat zu bitten, was nun zu tun sei. Der Arzt kehrte gleich mit ihm zurück. Wie sie der Villa sich näherten, sahen sie eben einen Wagen vorfahren, ein junger Mann trat ins Haus. Er stand bewegt an des Entschlafenen Bett, als sie hereintraten, die Pflegerin hatte ihn gleich dahin geführt. Es war der Neffe des Herrn von Aschen. Die letzten Briefe, die der Onkel an seine Verwandten geschrieben, hatten diese beunruhigt und man hatte beschlossen, der älteste Neffe sollte herreisen und dem Onkel Gesellschaft leisten, bis er kräftig genug zu der weiten Reise wäre. Der junge Herr hatte dann mit Hilfe des Arztes alles angeordnet, um den Onkel nun in einer andern Weise mit nach der fernen Heimat zu bringen, wo er in einer Familiengruft neben seiner Tochter bestattet werden sollte.
Dori hatte leise weinend zugehört. Jetzt rief sie schluchzend aus: »Ach, daß ein so guter Mensch nicht mehr da ist! Gewiß war er für viele ein Wohltäter, und andere bleiben da, die für keinen Menschen eine Lücke hinterlassen würden.«
»Dori, Dori«, sagte Melchior mahnend, »meinst du, unser Herrgott wisse nicht, was für jeden das Rechte sei? Meinst du, du solltest ihm ein wenig in der Weltregierung nachhelfen? Aber du erinnerst mich mit deinen Worten zur rechten Zeit, daß ich dir noch etwas zu sagen habe,das hätte ich über unserm Verlust fast vergessen. Ich habe dich schon wieder an jemand so halb und halb versprochen, ich meine, da könntest du ganz wünschbar eine Lücke ausfüllen, was wohl das Bessere für dich sein wird, als eine solche zu hinterlassen. Da ist die Mutter des kleinen lahmen Jungen im Kurhaus, die in diesen Tagen zu verreisen wünscht und mich um eine Pflegerin angefragt hat. Wolltest du nicht hinaufgehen, mit ihr zu sprechen, Dori? Ich habe dich genannt als die rechte Hilfe, wenn du frei wärest, und nun bist du's ja.«
Dori war in dem Augenblick alles gleichgültig, ob sie etwas zu tun habe oder nicht.
Dorothea aber wußte wohl, wie wohltuend eine neue Tätigkeit für ihre Tochter sein würde nach der großen Leere, die Herrn von Aschens Tod ihr hinterlassen mußte. Sie dankte Melchior sür seine Empfehlung und versprach, daß Dori sich der Sache annehmen werde, wenn es sich finde, daß sie dazu passe.
Melchior hatte einen letzten Gang in Herrn von Aschens Dienst zu tun, für sein Reisebettlein zu sorgen, wie er sich ausdrückte, dann ging er.
Achtzehntes Kapitel
Der junge Herr hatte mit der Hülle seines Onkels das Tal verlassen. Die Villa stand geschlossen. Dori mochte den Weg, der ihr vor allen lieb gewesen, nicht mehr betreten, er führte ja an dem geschlossenen Hause vorüber, das öde und leer aussah und in Doris Herzen ein tiefes Leid erweckte. Es war ja überhaupt so öde und leer geworden, daß in Dori oft ein Gefühl aufstieg, als gehe alles Leben für sie zu Ende, so wie draußen alles Leben dem Ende zuging. Die Blumen waren verwelkt und die Blätter fielen von allen Bäumen.
In Herrn von Aschens Nachlaß hatte sich ein geschlossener Brief an Dori vorgefunden, der ihr übersandt wordenwar. Er enthielt die herzlichsten Worte des Dankes für alles, was sie für den Kranken gewesen war, das er als nie zu vergeltende Wohltaten von ihr empfangen habe. Was er ihr zurücklassen möchte, das tue er in dem Sinne, daß Dori ihrem guten Herzen folgen und andern wohltun könne, wie und wo es ihr Freude machen würde. Ein ansehnliches Wertpapier war beigelegt. Dori hatte die Worte, die mit zitternder Hand sichtlich in den letzten Tagen des Geschiedenen geschrieben waren, mit nassen Augen an ihre Lippen gedrückt. Das Papier hatte sie weggelegt.
Dori hatte Melchiors Aufforderung nicht vergessen; aber ihr Herz und all ihre Gedanken waren noch so mit Herrn von Aschen beschäftigt, daß sie meinte, sie könnte für keinen andern mehr recht sorgen, nun sie es für ihn nicht mehr tun könnte. Zwischendurch sah sie plötzlich die forschenden Augen des kleinen
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