Was starke Männer schwach macht
soll ich denn damit aufhören, scharf auf sie zu sein? Das kann man nicht einfach an- und abstellen wie einen Wasserhahn.“
„Ich weiß. Aber stell dir doch nur mal vor, du wüsstest hundertprozentig genau, dass du und Julie niemals zusammenkommt – würdest du trotzdem Zeit mit ihr verbringen wollen?“
„Na klar.“
„Dann mach es einfach. Sei ihr Freund. Hämmere dir ein, dass du absolut keine Chance hast, mit ihr zusammenzukommen. Gib ihr die Chance, dich so kennenzulernen, wie ich dich kenne. Vielleicht denkt sie dann ja an dich, wenn sie über den anderen Typen hinweg und bereit für jemand Neuen ist. Du darfst dich nur nicht darauf versteifen.“
„Ich kann bestimmt nicht die Hände von ihr lassen.“
„Das musst du aber. Und das Flirten lassen. Keine sexuellen Anspielungen mehr. Nichts, was du nicht auch in Jasmines Gegenwart machen würdest.“
Tony wusste, dass Priscilla recht hatte. Irgendetwas machte er falsch, wenn es um Frauen ging. Wenn er etwas daran ändern wollte, konnte er unmöglich so weitermachen wie bisher.
Na schön, er würde Julies Freund sein. Er würde sie weder anfassen noch mit ihr flirten.
Warum nicht sogar noch einen Schritt weitergehen? Sollte sie doch irgendwann mehr als Freundschaft für ihn empfinden, würde sie den ersten Schritt machen müssen. Er hatte es satt, immer der Verführer und Jäger zu sein. Von heute an würde er reserviert und schwer zu kriegen sein. Schluss damit, sein Herz jeder attraktiven Frau auf dem Silbertablett zu präsentieren, die ihm einen interessierten Blick zuwarf.
Wenn Julie etwas von ihm wollte, musste sie ihn verführen!
Drei Tage später stand Julie zu ihrer Beschämung um Punkt sieben Uhr am Schlafzimmerfenster. Tonys Schicht war gerade vorbei.
Sie stellte sich so hin, dass er sie nicht sehen konnte, aber wie sich herausstellte, hätte sie sich das sparen können. Er würdigte ihr Haus nämlich keines Blickes, als er in Begleitung Priscillas und Ethans aus der Wache kam. Die drei schienen in ein Gespräch vertieft zu sein und lachten gerade über irgendetwas.
Vermied er es etwa absichtlich, in ihre Richtung zu gucken? Quatsch, das bildete sie sich bestimmt nur ein. Wahrscheinlich dachte er seit der Abfuhr sowieso kaum noch an sie.
Unter Garantie war er schon dabei, die Nächste zu erobern.
Bei Typen wie Tony standen die Frauen doch bestimmt Schlange. Warum sollte er nur einen Gedanken an Julie verschwenden, nachdem sie ihn so eindeutig hatte abblitzen lassen?
Sie bereute ihr Verhalten inzwischen zutiefst. Ihr Verstand sagte ihr zwar, dass sie das Richtige getan hatte, aber ihr Herz war anderer Meinung. Priscilla hatte gesagt, dass Tony zu den Guten gehörte. Wie oft lief einem so einer schon über den Weg? Okay, er wollte mit ihr schlafen, aber sie schließlich auch mit ihm. In dieser Hinsicht hatten sie einander also nichts vorzuwerfen.
Außerdem war sie davon überzeugt, dass es nicht unbedingt Hintergedanken waren, weshalb er das beleidigende Graffito übermalt und ihr dabei geholfen hatte, die Bar sauber zu machen. Er war einfach ein hilfsbereiter Mensch. Schließlich war er nicht umsonst Feuerwehrmann geworden.
Sie hatte Trey geliebt. Oder zumindest hatte sie das angenommen. Sie hatte sich von seiner Selbstsicherheit, seinem scharfen Verstand und – wenn sie ganz ehrlich mit sich war, brutal ehrlich – seinem Reichtum angezogen gefühlt. Oder jedenfalls der Sicherheit, die sein Geld versprach. Sie hatte sich eingeredet, dass Trey großzügig war, da er sie oft ausgeführt und mit teuren Geschenken überrascht hatte.
Doch im Nachhinein erkannte sie, dass sie ihn falsch beurteilt hatte. Für Typen wie Trey war es leicht, großzügig zu sein. Teure Geschenke zu kaufen, war kein Problem, wenn man ein praktisch unerschöpfliches Bankkonto hatte. Aber wann war er je großzügig mit seiner Zeit gewesen?
Hätte Trey für sie das Graffito übermalt? Mit eigenen Händen? Wohl kaum.
Als Tony und seine Freunde um die Ecke verschwanden, seufzte Julie tief auf. Sie beneidete die drei um ihre Freundschaft. Seit der Trennung von Trey fühlte sie sich manchmal ganz schön einsam.
Zum Glück hatte sie wenigstens Belinda. Aber ihre kleine Schwester wurde langsam erwachsen. Sie würde es einmal sehr weit bringen, und der Tearoom sollte dafür sorgen, dass sie ihre Begabungen entfalten konnte.
Anders als Julie sollte Belinda keine Einschränkungen hinnehmen müssen, was ihre Ausbildung oder ihre gesellschaftliche Position
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