Was starke Männer schwach macht
nach Hause gegangen waren, hatte Julie trotz Belindas Hilfe noch den ganzen nächsten Tag gebraucht, um fertig zu werden. Dafür war sie nun sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Die Wände wirkten irgendwie fast antik.
Für heute hatte sie sich den zerschrammten alten Tresen aus massiver Eiche vorgenommen. Er musste dringend überarbeitet werden.
„Ich wollte gerade zum Baumarkt, ein paar Sachen für den Garten besorgen“, sagte Tony. „Brauchst du zufällig etwas?“
Himmel, ist der Typ aufmerksam. „Nein, mir fällt gerade nichts ein. Außerdem stehe ich bei dem Laden sowieso schon total in der Kreide. Aber einen Gefallen könntest du mir trotzdem tun. Eine der Schubladen im Tresen klemmt. Vielleicht hast du ja genug Kraft, um sie rauszuziehen?“
„Na klar. Zeigst du sie mir?“
Insgeheim suchte Julie nur nach einem Vorwand, um Tony hereinzubitten. Die Schublade klemmte zwar tatsächlich, aber mithilfe eines Werkzeugs hätte sie sie bestimmt auch allein herausbekommen.
Tony sah in seinen Kaki-Shorts und seinem hellblauen T-Shirt so anziehend aus, dass Julie vorsorglich die Hände in die Hosentaschen schob, um nicht noch irgendwelche Dummheiten zu machen.
Sie führte ihn hinter den Tresen und zeigte ihm die widerspenstige Schublade.
Tony rieb sich die Hände. „Mal sehen, ob sich das Gewichtheben endlich bezahlt macht.“ Er bückte sich, packte den Griff und zog kräftig daran.
Nichts.
„Dann muss ich wohl mein Körpergewicht einsetzen.“ Tony spreizte die Beine und zog noch kräftiger. Die Schublade löste sich so plötzlich, dass Tony rückwärts taumelte – genau gegen Julies Beine. Es gelang ihr, sich noch am Tresen festzuhalten, bevor sie umfiel, doch schließlich landeten sie ineinander verknäuelt auf dem Fußboden. Julie hörte, dass Tony sich auf dem harten Holzfußboden den Ellenbogen stieß.
„Alles in Ordnung?“, stieß er hervor.
„Mir geht’s gut, aber was macht dein Ellenbogen?“
Tony setzte sich auf und rieb sich den Arm. „Er tut ein bisschen weh.“ Sie drehten sich zu der Schublade um, die beim Sturz auseinandergebrochen war. „Tut mir leid, aber ich fürchte, ich habe die Schublade kaputt gemacht.“
„Macht nichts. Immerhin ist es meine Schuld, dass du dir den Ellenbogen verletzt hast.“
„Halb so wild“, beruhigte er sie. „Es ist nur ein blauer Fleck.“
„Ich hole dir etwas Eis.“
Als Julie Anstalten machte, aufzustehen, fasste er sie an der Hand und zog sie auf den Fußboden zurück. „Julie, das ist wirklich nicht nötig.“
Er hätte sie nicht anfassen dürfen. Die Berührung seiner warmen, kräftigen Hand sandte ein Prickeln bis in Julies Unterleib. Und er machte keine Anstalten, sie loszulassen.
Erst jetzt wurde Julie bewusst, dass sie nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Ihre Blicke begegneten sich. Für einen Moment hatte sie den Eindruck, dass Tony sie küssen wollte, doch dann ließ er ihre Hand abrupt los und sah zur Seite. „Vielleicht war das mit dem Eis doch keine so schlechte Idee.“
Allerdings. Um sich damit abzukühlen. Vielleicht ließ sich das Feuer, das in ihr entflammt war, auf diese Weise löschen.
Julie fühlte sich wie magisch von Tony angezogen, und so berührte sie schließlich sein Gesicht. Sie konnte einfach nicht anders. Vernunft hin oder her – sie wollte, dass er sie endlich küsste. Es war die reinste Hölle, unmittelbar neben ihm zu sitzen und ihn nicht zu spüren.
„Du machst es mir ziemlich schwer, Julie“, sagte er mit gepresster Stimme.
„Tut mir leid.“ Als er immer noch keine Anstalten machte, sie zu küssen, beugte sie sich spontan vor und legte ihre Lippen auf seine.
Was auch immer seine Zurückhaltung bewirkt hatte, löste sich schlagartig in Luft auf. Er erwiderte ihren Kuss so begierig wie ein Seemann, der zum ersten Mal seit Monaten endlich Landgang hat. Auch Julie war außerstande, sich noch länger zurückzuhalten. Unweigerlich nahmen die Dinge ihren Lauf.
„Ich bin nicht besonders gut in diesem Nur-Freunde-Ding“, stieß sie zwischen zwei wilden Küssen schwer atmend hervor.
„Ich auch nicht.“
Irgendwo im letzten Winkel seines Hinterkopfes war Tony bewusst, dass er wahrscheinlich gerade einen gewaltigen Fehler machte. Er hatte den Eindruck, dass Julie einfach nicht wusste, was sie wollte. Gut möglich, dass sie das, was hier passierte, später bereuen würde und ihm wieder die kalte Schulter zeigte. Aber er durfte diese vielleicht einmalige Chance, sie von der
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