Was uns glücklich macht - Roman
ist –, und falls du dich dazu außerstande siehst, verstehe ich das auch. Aber bitte denk daran: Wie du dich auch entscheidest, ich liebe dich und werde mein Leben lang bedauern, was ich getan habe.«
Dann war er wieder auf den Beinen.
»Ich warte unten«, sagte er. »Nimm dir die Zeit, die du brauchst.«
Ich sah auf die Stelle, wo er gekniet hatte. Bisher hatte ich kaum auf den Bodenbelag geachtet. Der Teppichboden war orange mit schwarzem Zickzackmuster und hätte anderswo vollkommen lächerlich gewirkt; hier schien er jedoch genau zu passen. Und während ich noch nach unten sah, hörte ich, wie die Tür leise zufiel. Als ich aufsah, war er weg. Ich schloss die Augen und versuchte mir vorzustellen, wie er ausgesehen hatte, kurz bevor er das Zimmer verließ, die Hand am Türknopf. Trug er seinen Ehering? Ich glaubte, ja. Meinen hatte ich unten am Pool abgenommen, am Tag meiner Ankunft, dem Tag, an dem ich Eduardo kennengelernt hatte, dem Tag, an dem ich vor meiner Ehe davonlief. Und Robert trug seinen heute noch. Hatte er ihn die ganze Zeit getragen? Oder hatte er ihn nur zu seinem Besuch hier angesteckt? Wäre interessant, das zu erfahren.
Dann sprang ich von der Couch auf und rannte zur Tür, rannte den Flur hinunter und holte Robert ein, der noch vor dem Aufzug stand.
»Warte«, sagte ich, »komm zurück. Ich brauche keine Zeit. Ich weiß jetzt schon, was ich will.«
Brooke
Ich liebe Tage, an denen sich alles anders anfühlt.
Vermutlich sollte ich das nicht so sagen. Ich mag nicht jeden Tag, an dem sich das Leben anders anfühlt, zum Beispiel wenn jemand stirbt und alles auf einmal ganz anders ist. Das gefällt mir nicht. Ich erinnere mich noch, wie Grammy gestorben ist, die Mutter meiner Mom, Brooke, nach der ich benannt wurde. Meine Mutter ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten, und ich auch. Wenn ich mir alte Fotos ansehe, dauert es manchmal einen Augenblick, bis ich sagen kann, ob sie darauf ist oder ich, ich muss mir meist die Kleider anschauen. Sie war sehr stilsicher, hatte Pelze für jede Gelegenheit und sensationelle Hüte. Aber es stimmt, wir sehen uns wirklich so ähnlich , dass ich auf die Kleider schauen muss, um zu erkennen, dass das nicht ich bin.
Der Tag, an dem sie starb, war anders als alle anderen. Sie hatte Krebs, und keiner hat es mir gesagt. Als sie Gewicht verlor, hieß es, sie mache Diät. Als ihr die Haare ausgingen und sie eine Perücke brauchte, hieß es, sie experimentiere mit einem neuen Look. Damals wollte ich dann auch eine Perücke tragen. Meine Mutter hat mir eine gekauft, eine lange, blonde. Ich war dreizehn. Als sie starb, war das ein totaler Schock. Ich hatte sie seit über einem Monat nicht gesehen, sie war im Krankenhaus, aber mir erzählte man, sie sei in Europa, zu Besuch bei Freunden. Eines Abends zog mich meine Mutter dann vom Fernseher weg.
»Ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen«, sagte sie.
Und dann erzählte sie mir ganz nüchtern, dass Grammy nicht mehr da war. Ich fühlte mich, als stünde ich zwischen einer Abrissbirne und einem alten Haus: Erst erwischte mich die Birne, was wehtat, dann riss sie mich weg und schleuderte mich mit aller Gewalt in das Haus. Ich war völlig fertig. Ich bekam keine Luft mehr.
»Wann?«, fragte ich. »Wie?«
»Sie war schon eine Weile krank«, erklärte meine Mutter stoisch. »Sie starb vorgestern. Oben liegt ein neues Kleid für dich, das kannst du zur Beerdigung anziehen.«
»Was soll das heißen, sie war krank? Ich wusste nicht, dass sie krank war.«
»Liebes«, sagte meine Mutter und schlug dabei jenen speziellen Ton an, den sie immer draufhat, wenn sie mir etwas erklärt, von dem sie glaubt, ich könne es nicht verstehen. »Ich konnte es einfach nicht ertragen, es dir zu sagen.«
Was mir von der Beerdigung am nächsten Tag am lebhaftesten in Erinnerung geblieben ist, war meine Fassungslosigkeit darüber, dass es für andere Leute ein Tag wie jeder andere war. Ich erinnere mich an die Arbeiter auf der Baustelle, die ihre Brotdosen neben sich hatten, Sandwiches aßen und aus ihren Thermosflaschen tranken, und ich konnte nur denken: Wie können die einfach weitermachen, als wäre nichts passiert? Wissen die denn nicht, dass Grammy tot ist? Wissen sie nicht, dass ich nun nie mehr diese langen Nägel spüren werde, die mir den Rücken kratzen? Und wie weich ihre Haferkekse waren? Erinnern sie sich nicht daran, wie sie mich ins Musical Annie auf dem Broadway mitgenommen hat und mir hinterher die CD gekauft
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