Was uns glücklich macht - Roman
meine Gefühle habe, ich allein, nicht die anderen. All die Jahre habe nur ich mir wehgetan, nicht die anderen. Und in Wirklichkeit war ich auf mich zornig, auf niemanden sonst.
Diese Erkenntnis kam weder in Form einer Vision noch eines Traums, sie ereilte mich auch nicht auf einem Berggipfel, von dem aus ich auf die Welt hinabblickte, sondern als SMS , neben einem Teller Pfannkuchen. Diese SMS änderte alles, denn als ich die Worte las, erkannte ich, dass sie mir überhaupt nichts bedeuteten, obwohl ich doch mein halbes Leben lang auf genau diese Worte gewartet hatte.
Phil und seine Frau haben sich getrennt, er ist ausgezogen, es heißt, SIE hätte IHN betrogen!
Ich weiß nicht, von wem die SMS war. Aber auch ohne es zu wissen, war mir klar, dass es stimmt. Es war wirklich wahr. Phillips Ehe lag in Trümmern. Sie hatte ihn betrogen. Und offenbar wusste jeder Bescheid. Auf seine Art war das genauso schlimm, wie einem Pferd einen runterzuholen.
Also, mal sehen: Phillip hat mich vor neunzehn Jahren wegen Holly verlassen und sie knapp ein Jahr danach geheiratet. Also warte ich seit achtzehn Jahre auf diese Worte. Ich habe davon geträumt, sie mir ausgemalt, dafür gebetet, sie niedergeschrieben, darüber meditiert, sie täglich laut ausgesprochen. Und nun starrten sie mir aus dem rougeverschmierten Display von Maries BlackBerry direkt ins Gesicht, und die Gefühle, die sie in mir weckten, waren eine mächtigere Offenbarung als alles, was ich bisher in Kirchen, Konferenzsälen oder auf einem Konzert in der ersten Reihe erlebt habe.
Sie machten mich traurig.
Ich empfand keinerlei Freude, keinerlei Euphorie, keinerlei Schadenfreude. Ich hatte nichts gewonnen. Im Gegenteil, eigentlich hatte ich mehr verloren als alle anderen. Denn hier ging es überhaupt nicht um mich. Es ging um die beiden. Nur ich war der Ansicht gewesen, dass es dabei um mich ging, und jeder Psychodoc, den ich konsultiert habe, hat versucht, mir das zu erklären. Die wirklich wichtigen Dinge im Leben muss man wohl für sich ganz allein herausfinden. Und als ich die Worte las, gelang es mir.
»Na, was sagen Sie dazu?«
Es war Marie. Ich hatte fast vergessen, dass sie auch da war.
»Ich sage, dass ich es heute auf der Wanderung gern mal mit John Denver probieren möchte«, sagte ich. »Kann ich Ihren iPod borgen?«
Nach dem Frühstück fuhr ich mit dem Rad zum Fuß des Smuggler Mountain. Die Wanderung war zu meinem Lieblingsstart in den Tag hier in Aspen geworden, ein Aufstieg von fünfundzwanzig Minuten, größtenteils steil, steinig und rau, mit spektakulären Ausblicken auf die Stadt und die Berge in der Ferne. Am besten ist die Belohnung oben auf dem Gipfel: eine Aussichtsplattform mit sensationellem Blick. Jeden Morgen nach dem Frühstück lief ich hinauf, was meine Herzfrequenz erhöhte und mich zum Schwitzen brachte. Oben setzte ich mich hin und begann tief zu atmen. Wenn niemand in der Nähe war, schloss ich die Augen und meditierte kurz.
Möge ich von liebender Güte erfüllt sein
Möge es mir gut gehen
Möge ich Frieden und Gelassenheit empfinden
Möge ich glücklich sein
Normalerweise hatte ich die Ohrstöpsel drin, damit ich beim Aufstieg meinen Hip-Hop hören konnte, aber heute war es anders. Heute hörte ich John Denver. Was für mich ein noch größerer Schritt gewesen wäre, wenn es mir nicht gefallen hätte, aber es gefiel mir, fast wider Willen.
Zuerst einmal kapierte ich es, was ich mir nie hätte träumen lassen. Und in Wahrheit hätte ich es vielleicht auch nicht kapiert, wenn ich irgendwo anders gewesen wäre. Aber ich war genau dort, wo er war, als er die Musik schrieb, zumindest behauptet Marie das, und sie scheint es zu wissen. Und nach dem ersten Song wusste ich, dass sie recht hatte, ich konnte es sehen.
Er sang vom Adler und vom Falken, die in Felsenkathedralen bis zum Himmel lebten, und ich konnte sie sehen, nicht in meiner Vorstellung, sondern direkt vor mir, ich sah Vögel am Horizont.
Dann sang er von Gedichten, Gebeten und Versprechen, von Kindern und Blumen, von einer Frau, die all seine Sinne gefangen nahm, und ich hatte die Bilder direkt vor mir, den ganzen Text über die Liebe, inneren Frieden und die Schönheit der Natur. Und ich fand jedes Wort großartig. Als ich den Gipfel erreicht hatte und mich auf der Aussichtsplattform auf die Knie fallen ließ, war ich ein Fan.
Ich nahm die Stöpsel aus den Ohren und schraubte meine Wasserflasche auf. Im nächsten Moment hörte ich Schritte hinter mir, was
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