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Was uns glücklich macht - Roman

Was uns glücklich macht - Roman

Titel: Was uns glücklich macht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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mich immer enttäuscht, wenn ich oben auf dem Smuggler Mountain bin. Es gibt nichts Besseres, als allein auf dieser Plattform zu sein. Ich wollte nur genügend trinken und dann ein wenig dort sitzen, Musik hören und auf die Welt zu meinen Füßen blicken.
    Dann habe ich ihn gesehen.
    Er war groß und dünn und etwa in meinem Alter. Nicht in dem Alter, auf das Marie mich schätzt, eher in meinem richtigen Alter. Er war topfit. Bevor ich überhaupt sein Gesicht sah, fielen mir der knackige Bizeps und die Unterarme auf, die Arme eines Athleten, sehnig und lang, nicht übertrieben muskulös, nicht die Art Muskeln, die man bekommt, wenn man Gewichte stemmt, eher die Muskeln, die sich entwickeln, wenn man das tut, wozu wir Städter hier herauskommen. Er war dunkelhaarig und hatte ein eckiges Gesicht, mit hervorstehenden Wangenknochen und kantigem Kinn, und der Bartschatten war genau richtig. Außerdem führte er das ultimative Accessoire an einer Leine mit, einen umwerfenden Golden Retriever, der gemächlich herumtappte und am Boden entlangschnüffelte. Mann und Hund sahen aus, als verbrächten sie eine Menge Zeit auf dem Berg.
    Ich brachte mein Haar in Ordnung, soweit es ging.
    »Herrlicher Tag«, sagte ich so beiläufig, wie ich konnte.
    »Ja, nicht wahr?« Seine Stimme war höher, als ich erwartet hätte, weniger rau, als sein Kinn und seine Bartstoppeln verhießen, aber das war okay.
    »Was für ein großartiger Hund«, sagte ich. Ich musste ihn ins Gespräch ziehen, im Gespräch bin ich gut.
    »Ja, nicht wahr«, sagte er und machte ein Kussgeräusch – an den Hund gewandt –, und der Golden Retriever kam zu uns getrottet und schmiegte sich an seine Hüfte. »Sie ist schon zehn und schafft es immer noch in zwanzig Minuten auf den Smuggler Mountain.« Er kniete sich neben die Hündin und legte einen Arm um sie. »Braves Mädchen«, flüsterte er ihr zu. Dann schaute er zu mir hoch, blinzelte ein wenig in die Sonne. »Das ist Florence, ich heiße Stephen.«
    »Katherine. Freut mich.«
    »Sie kommen aus New York?«
    »Ist das derart offensichtlich?«
    »Nein, aber hier in der Stadt kennt jeder jeden. Fremde kommen zurzeit nur aus New York oder Chicago, also habe ich geraten. Sie sehen eher nach New York als nach Chicago aus.«
    »Ist das ein Kompliment?«
    »Nein. ›Ihre Schönheit überstrahlt die Sonne‹ wäre ein Kompliment. Das hier ist nur eine Beobachtung.«
    Also bitte. Ich hätte nicht erwartet, dass dieser raue, attraktive Naturbursche auch noch einen wachen Geist besaß. Ehrlich gesagt hätte ich es vorgezogen, wenn er mir intellektuell unterlegen gewesen wäre. Jetzt wusste ich, wie sich all die Männer gefühlt hatten, mit denen ich ausgegangen war. »Dann sind Sie wohl von hier?«, sagte ich schließlich, weil mir nichts Witziges einfallen wollte.
    »Eigentlich stamme ich aus Chicago, aber ich lebe hier seit fünfzehn Jahren. Es heißt, man kommt wegen der Winter und bleibt wegen der Sommer. Ich bin der lebende Beweis dafür.« Er holte eine Flasche Wasser und eine kleine Schüssel aus seinem Rucksack, goss etwas Wasser ein und stellte sie dem Hund hin. »Als ich klein war, sind wir mit der Familie immer hierher zum Skifahren gekommen«, fuhr er fort. »Anfang zwanzig kam ich dann zum Musikfestival im Sommer her und bin hier hängengeblieben. Hier bin ich, und hier bleibe ich. Einen solchen Ort gibt es auf der Welt kein zweites Mal.«
    »Das Gefühl habe ich auch«, sagte ich. »Ich habe das Gefühl, als könnte die Luft das Leben um zehn Jahre verlängern.«
    »Die Luft, die Höhe, die Leute, Sie werden es lieben«, sagte er. »Wie lange wollen Sie denn bleiben?«
    »Ach, ich weiß noch nicht. Das habe ich noch nicht entschieden.«
    Seine Miene änderte sich, als ich das sagte. Wenn ich mich nicht täuschte, blickte er interessiert. Vielleicht war er einfach nur nett, gastfreundlich, stolz, seine neue Heimat herzuzeigen, aber das glaube ich nicht. Er senkte den Blick und linste, glaube ich, zu meiner linken Hand.
    »Nun, ich würde Sie gern ein bisschen herumführen«, sagte er. »Waren Sie schon bei Jimmy’s?«
    »Nein, noch nicht.«
    »Mögen Sie Hamburger? Dort gibt’s die besten auf der Welt.«
    »Ich liebe Hamburger«, sagte ich. Ich hatte seit zehn Jahren keinen Hamburger mehr gegessen.
    »Super. Es ist mitten in der Stadt. Wir sind gegen sechs auf ein paar Drinks dort, wenn Ihnen das passt.«
    Mir sank der Mut. »Wir?«, erkundigte ich mich beiläufig.
    Er klopfte seinem Hund auf den Rücken.

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