Was vom Tode übrig bleibt
ist? Da sind einem die Käfer lieber, die fliegen nicht dauernd im Weg herum.
Der Speckkäfer ist mehr oder weniger als Letzter bei der Leiche eingetroffen, ist aber ein genauso zuverlässiger Stammgast und normalerweise immer dabei. Speckkäfer sind mit der Verwesung zufrieden, können den Körper verwerten, so, wie er ist, am besten sogar die bei Fliegen weniger gefragten Haare oder Fingernägel. Kürzlich habe ich gelesen, dass Museen diese Käfer sogar extra dazu einsetzen, wenn sie ein Skelett sauber präparieren und von Geweberesten befreien wollen.
Nur der Vollständigkeit halber: Was würde eigentlich passieren, wenn niemand die Leiche findet? Nun, die Kombination von Verfaulen und Verwesen bleibt, aber das Verhältnis ändert sich mit der Zeit. Man muss sich’s jetzt ja nicht bildlich vorstellen, ich schildere es auch nur rein mechanisch: Der Körper zerfällt nach und nach, damit entstehen Öffnungen in der Oberfläche, durch die mehr Luft eindringt, und damit gibt’s wieder mehr Verwesung und weniger Verfaulung. Weniger Verfaulung– weniger Geruch– weniger Fliegen– weniger Maden. Die Käfer bleiben allerdings bis zum Schluss.
Da könnte man natürlich auch auf die Idee kommen und sagen: Ich warte einfach mal ab, mit der Zeit nimmt ja der Verwesungsanteil zu, dann ist der Geruch weg und irgendwann muss ich nur die Knochen einsammeln und einmal durchkehren. Langfristig gesehen, stimmt das sogar: Sobald nur noch die Knochen des Skeletts vorhanden sind, hat man kein Problem mehr, Knochen riechen nicht. Aber da muss man schon mit sehr, sehr langen Zeiträumen rechnen. Wer vor hundert Jahren gestorben ist, ist heute sozusagen absolut geruchsneutral. Aber ich sag’s gleich: Es gibt nicht viele Mieter oder Hausbesitzer, die so lange warten wollen.
5. Normal
Etwa zwei Drittel unserer Aufträge als Fundortreiniger betreffen lange liegende Leichen, von denen man gelegentlich in der Zeitung liest: Rentner, Alkoholiker, Vereinsamte. Die Schicksale dahinter sind zwar unterschiedlich, aber vom Handwerk her ähnelt sich unsere Arbeit in diesen Fällen stark. Ein solcher Normalfall beginnt zunächst mit einer Ortsbesichtigung.
Auch ich mag am Anfang nicht gern in die belasteten Räume gehen. Draußen bleiben kann ich nicht, das ist klar, ich muss ja wissen, was zu tun ist, was für Besonderheiten der Einsatz vorsieht, wie’s in der Wohnung ausschaut, ob wir einen Container ordern oder ob ich nicht besser zwei bestelle, das merkt man ja nicht nur bei Umzügen, dass da ziemlich schnell ein unglaublicher Haufen Zeug zusammenkommt. Dieses Besichtigen und Einschätzen ist schon in der Wohnung insgesamt nicht immer angenehm. Aber der Raum, in dem die Leiche lag, ist ein Kapitel für sich, gerade am Anfang, wenn noch alles voller Fliegen ist.
Wir reden hier nicht von Fruchtfliegen, Florfliegen, so halbwegs kleinen, ästhetischen Viechern, oder von den noch halbwegs sympathischen Stubenfliegen. Sondern wir reden von diesen fetten, bunt schillernden Brummern. Sie sind aus den Maden geschlüpft und hängen in dicken Trauben am Fenster. In Räumen, in denen Leichen lange gelegen haben, ist anfangs meist regelrecht ein diffuses Dämmerlicht, weil so viele Fliegen sich an den Fenstern befinden. Die nimmt der Bestatter ja nicht mit, also sind sie, wenn wir mit der Arbeit beginnen, auch noch da. Aber damit wir vernünftig arbeiten können, müssen sie zuallererst weg. Denn sobald man reinkommt, fliegen sie einen an, ich weiß nicht, ob aus Neugier oder Langeweile oder weil sich was bewegt. Auch wenn eine Tatortreinigung nicht vergleichbar ist mit einem fliegenbesetzten Leichnam, auf den man bei einer Wohnungsöffnung mit dem Notarzt stößt, ist sie dennoch schlimm genug. Also begutachte ich die Wohnung und den Leichenfundort nicht länger als irgend nötig. Ich mache einen Kostenvoranschlag, wie jeder andere Handwerker auch, und wenn wir den Zuschlag bekommen, organisiere ich den ersten Reinigungstag. Wie viele Leute brauche ich, welche Sondergeräte, solche Sachen. Und dann machen wir uns auf den Weg zum Einsatz, normalerweise morgens.
Bevor wir anfangen, errichten wir einen Schwarz-Weiß-Bereich. Wir trennen extrem zwischen » Sauber« und » Schmutzig« und richten uns hier einen Abschnitt ein, der garantiert » sauber« ist. Es kann sein, dass das nicht alle Tatortreiniger so machen: Ich habe das Arbeitsprinzip von der Schädlingsbekämpfung übernommen, da hat man ja auch mit vielen Substanzen zu tun, die man nicht
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