Was vom Tode übrig bleibt
erhöht in die Zimmermitte, schaltet den Sprühknopf ein und geht dann raus. In größeren Räumen befüllt man einen Vernebelungsautomaten mit dem martialischen Namen » Exodus« mit Aquapy, einem Bayer-Mittel. Beide Maßnahmen vernebeln den Raum gründlich, einige Minuten später lüftet man und kehrt das Fliegenproblem in einer Ecke zusammen. Das ist nicht nur eine Frage der Ordentlichkeit oder Ästhetik, sondern es ist auch sinnvoll, damit man nicht die ganze Wohnung mit zertretenen Fliegen versaut.
Je nach Zimmergröße braucht man dann auch mal eine Kehrschaufel, weil sonst neben dem Fliegenhaufen nicht viel Platz übrig ist, auf dem man stehen kann. Das Gefühl ist etwas gewöhnungsbedürftig, wenn man tote Fliegen in eine Tüte schaufelt wie andere Leute Puffreis. Aber damit ist erst einmal die Grundlage gelegt, dass man in dem Raum überhaupt arbeiten kann. Und bevor man zu schaufeln anfängt, bevor man überhaupt irgendetwas anfasst, desinfiziert man den ganzen Raum, überhaupt jeden Raum, der irgendwie kontaminiert ist. Und das sind praktisch alle, wegen der Fliegen. Sie sind ja all die Wochen nicht nur am Fenster gesessen, sie sind auch auf der Leiche herumgekrabbelt, haben gefressen, verdaut, Eier gelegt, und dazwischen haben sie sich immer wieder in der Wohnung umgesehen. Der Schmutz von den Fliegenbeinen klebt am Fenster, auf allen Möbeln, allen Wandflächen, und das ist nicht nur eine Sache von Mikroben, das sieht man auch. Die Pünktchen am Fenster, die Kleckse in der Wohnung, das ist so ähnlich wie ganz, ganz kleiner Taubendreck, aber man sieht ihn mit bloßem Auge.
Unser Standarddesinfektionsmittel heißt Kohrsolin, doch hier gibt es so viele Sorten wie bei der Handcreme, die alle im Prinzip ähnlich arbeiten. Man mischt damit eine Desinfektionslösung an, füllt sie in die Gloria 5050 , ein Hochleistungssprühgerät, das nach demselben Prinzip arbeitet wie die riesigen Kinderwasserpistolen: Mit ein paar Pumpgriffen baut man Druck auf, schnallt sich die Flasche auf den Rücken und verteilt mit einem Sprühstab den Sprühnebel, wo immer man ihn braucht.
Nach 15 Minuten Einwirkzeit der Desinfektionsmittel gehen wir gegen den Geruch vor. Meine Mitarbeiter und ich ertragen davon einiges, und jeder von ihnen sagt dasselbe: Es gibt Tage, da steckt man ihn ganz gut weg, und Tage, da ist man ständig kurz vor dem Sich-Übergeben. Der Geruch muss also zuerst gemildert werden, schon um die Arbeit erträglicher zu machen. In extremen Fällen nutzen wir Geruchsüberdecker aus der Dose, aber das ist auch eine Preisfrage: Diese Mittel, die einen starken Eukalyptus- oder Mentholgeruch verbreiten, sind sündhaft teuer, die Dose kostet ab 25 Euro aufwärts, wirkt aber nur etwa eine Stunde– wenn man da zu viel nimmt, steigt einem hinterher der Kunde aufs Dach. Üblicherweise verzichten wir also darauf, es sei denn, wir arbeiten zu weit oben im Haus, ab dem dritten oder vierten Stock.
Das hat nichts damit zu tun, dass Leichen in höheren Stockwerken strenger riechen, sondern schlicht mit der Säuberung der Wohnung. Eine Tatortreinigung ist sehr oft auch eine Wohnungsentrümpelung. Deshalb ist idealerweise, kurz bevor wir uns umziehen, unten schon der Container angekommen, oder so eine lastwagengroße Blechmulde, wie man sie von Baustellen kennt. Den Container platziert man am besten vor einem großen Fenster oder vor dem Balkon, denn dann kann man in den unteren Etagen alles einfach aus dem Fenster reinwerfen. Spätestens ab der zweiten Etage geht das aber nicht mehr. Der Grund ist, dass ab dieser Höhe alles, was keine Matratze ist, beim Aufprall wie die reinste Splitterbombe wirkt. Dann müssen wir viel von Hand durch den Hausflur transportieren, und daher wird jetzt der Geruchsüberdecker unvermeidlich: Weil man den Mietern diesen furchtbaren Geruch natürlich nicht zumuten kann. In solchen Situationen sind diese Spraydosen echte Wundermittel. Wir stellen eine im Flur ins Erdgeschoss, drücken den Auslöser– und pfft!– zieht das Menthol rauf bis in den sechsten Stock.
Für uns heißt es in jedem Fall: Gas geben! Je schneller wir die Wohnung von den Geruchsherden befreit haben, desto schneller haben wir selbst eine einigermaßen brauchbare Atemluft. Also fliegt erst mal alles raus, was von der Leiche selbst übrig ist, das heißt, einfach alles, was kleben und hängen bleibt, wenn der Bestatter die Leiche anhebt und wegbringt. Reste von Blut, Mageninhalt, Darminhalt, Blaseninhalt, alles auf einer
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