Was vom Tode übrig bleibt
Unterlage aus durchgeweichten Hautresten. Je nach Liegezeit in den Boden eingesickert und vermengt mit der jeweiligen Unterlage. Das kann bis zur Auflösung des Teppichs gehen, denn Magensäure heißt nicht nur so, sie ist auch eine echte Säure und greift daher jede Menge Materialien an. Doch am unerfreulichsten ist, dass sich hier die Fliegen bevorzugt sammeln, denn es ist die einzige Stelle, die zum Eierlegen noch vorhanden ist. Nachdem die Fliegen bereits im Jenseits sind, sind inzwischen nur noch die Maden übrig, und je nach Alter sieht das Ergebnis dann aus wie ein wirklich ekelhaft riechendes, stark belebtes Risotto. Und wenn jemandem beim Lesen jetzt etwas schwummrig wird, kann ich versichern, dass es mir oft genauso geht, während ich dieses Zeug mit den Händen zusammenkratze und in eine Plastikmülltüte werfe– gegen das Gefühl helfen auch keine Handschuhe.
Anschließend sind die Objekte dran, die mit der Leiche und ihren Resten in Berührung gekommen sind. Bett, Matratze, Rahmen, Teppich, Teppichboden, Parkett. Fliesen auch, die sind zwar selbst dicht, aber die Fugen sind es nicht. Das heißt, Leichenbestandteile sickern hier durch, gelangen hinter die Fliesen, und von der Rückseite sind auch Fliesen nicht dicht. Kurz gesagt: raus, aber ganz, ganz vorsichtig. Es macht ja keinen Sinn, die stinkenden Teile zwar zu entfernen, aber dabei gleichzeitig den Rest der Wohnung zu versauen. Wir packen diese Teile daher– und weil wir den Transportcontainer nicht kontaminieren dürfen– vor dem Abtransport in dicke Plastikfolie. Leider geht das nicht immer im Ganzen.
Wir können keinen Teppich, keinen Tisch, keine Matratze einfach zusammenrollen und verpacken, sondern wir müssen alles zuvor in handliche Stücke zerlegen. Und ich meine damit wirklich: handlich. Was nicht heißt, dass wir keine größeren Teile tragen könnten, aber wir könnten diese nicht entsorgen, weil die Müllverbrennungsanlage die Annahme verweigert, jedenfalls die in München. Für den Abtransport lassen wir zwar eine Firma kommen, aber wenn deren Fahrer dann anschließend den Abfall nicht loswird, ist der Schwarze Peter wieder bei uns. Weshalb wir uns zum Beispiel mit einer blutdurchtränkten Schlafcouch oft länger befassen müssen, als uns lieb ist. Und obwohl wir inzwischen das passende Werkzeug dabeihaben– Stichsäge, Flex, handliche Profigeräte–, bis man alles zerlegt und in diese störrische Plastikfolie gezwängt und verklebt hat, da flucht man ganz schön über die MVA-Vorschriften.
Wenn die Geruchsherde selbst entsorgt sind, fliegt alles in den Müll, was dem Geruch zu lange ausgesetzt war. Textilien, Möbel, Lampen– da braucht keiner zu kommen und zu sagen, er wolle dies oder jenes noch retten: Den Gestank kriegt man nicht mehr raus. Das ist wie bei der Kommode, die man von der Oma geerbt hat, und jedes Mal, wenn man die oberste Schublade aufmacht, riecht es noch immer ein bisschen wie damals in Omas guter Stube. Ganz genauso ist das mit Möbeln aus Leichenwohnungen, aber was da rausriecht, ist ganz bestimmt keine Nostalgie.
Ich gebe zu, manchmal finden wir es selbst schade, alles in den Müll schmeißen zu müssen. Wir haben einmal einen nagelneuen Flachbildfernseher in einer Wohnung entdeckt, der zwar ausgepackt, aber noch nicht angeschlossen war. Den wegzuwerfen wäre wirklich ein Jammer gewesen, denn der war richtig teuer. Aber die Wohnungsbesitzer haben entsetzt abgelehnt, ihn zu behalten, da auch schon das Gehäuse den Geruch aufgenommen hatte. Ich hab’s trotzdem nicht über mich gebracht, ihn zu entsorgen, und ihn dann mit nach Hause genommen. Da steht er jetzt, und man riecht es noch immer leicht, wenn man ganz nahe hingeht. Ich weiß nach wie vor nicht, was ich damit machen soll, angeschlossen ist er auch bei mir nicht– wer weiß, am Ende wird’s nur eine Art Selbstexperiment und ich muss ihn eben doch noch wegschmeißen.
Noch bedauerlicher ist es, wenn wir die Wohnungseinrichtung komplett entsorgen müssen. Denn wenn Menschen unbemerkt sterben, tun sie das in den seltensten Fällen so, dass sie den Raum ihres Todes vorher hermetisch abdichten oder auch nur die Tür hinter sich zuziehen. Das heißt, der Geruch zieht durch die Wohnung. Nicht so konzentriert wie im Sterbezimmer, aber man kann es riechen. Und selbst wenn man das hinnehmen würde– aus hygienischen Gründen lässt sich eine Entsorgung nicht vermeiden. Wir haben die Wohnung ja nicht aus Jux anfangs desinfiziert, der Schmutz, den die
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