Was vom Tode übrig bleibt
Fliegen überall hinterlassen haben, ist noch immer da. Und Wegwerfen kommt den Wohnungsbesitzer dann meist günstiger, als wenn wir mühsam irgendwelche Pressspanmöbel reinigen. Das vergessen viele. Ich habe neulich einen Keller mit Mäusebefall ausräumen müssen, da kommt der Vermieter auf mich zu und sagt, dass wir irgendein Sperrholzbrett doch aufheben sollten, das könnte man noch verwenden. » Guter Mann«, sag ich, » das Brett stinkt nach Mäusepisse. So ein Brett kostet im Baumarkt drei Euro. Ich kann es Ihnen aber auch eine Stunde lang reinigen. Dann ist es sauber und Sie haben ein Sperrholzbrett für 50 Euro.« So sinnvoll Recycling auch ist: Hier läuft’s auf eine simple Rechenaufgabe hinaus.
Allerdings stoßen wir manchmal an Grenzen. Nach vier, fünf Stunden in einer Wohnung, die stark nach Leiche riecht, lässt allmählich der Geruchssinn nach. Wir erkennen nicht mehr, was stinkt und was nicht. Als ob man erst ein Stück Zucker gegessen und dann in einen Pfirsich gebissen hätte– ob der Pfirsich richtig süß ist oder nur durchschnittlich, kann man dann nicht feststellen. Natürlich gehen wir gründlich vor, keine Frage, meine Mitarbeiter und ich schnuppern an Fensterrahmen entlang, an Bodenleisten, Plastikverkleidungen, Lampenschirmen, das sieht manchmal aus, als wären wir Schäferhunde bei der Drogenfahndung. Aber irgendwann fängt der eine zu fragen an: » Du, ich glaub, das riecht noch nach Leiche– meinst du nicht auch?« Und daran, dass man immer öfter den anderen zur Kontrolle anfordert, merkt man, dass man allmählich an die Grenze dessen gekommen ist, was man jetzt noch seriös unterscheiden kann. Dann wird es Zeit für die erste Abschlussarbeit: die Behandlung mit Chlorbleichlauge.
Wir rühren eine Verdünnung davon an und bringen sie direkt auf. Das heißt, der eine schnallt sich die Pumpflasche um und besprüht damit die Wand. Und der andere nimmt eine Bürste oder einen herkömmlichen Schrubber und schrubbt damit die Wand ab. Was eine irrsinnige Plackerei ist. Schon Schrubben auf dem Boden ist ziemlich mühsam, aber da kann man wenigstens sein Gewicht nutzen und sich ein bisschen in den Schrubber stemmen. An der Wand geht das nur begrenzt. Ab Hüfthöhe ist der Winkel zu ungünstig, und weiter oben hilft das Gewicht gar nichts mehr, da muss man die Bürsten per Muskelkraft an die Wand pressen. Und an der Decke ist es noch schlimmer. Zumal wir das alles ja immer noch in unseren Overalls machen müssen, mit den Atemmasken und allem Drum und Dran. Anders geht’s nicht, die Dämpfe der Chlorbleichlauge sind nichts zum Einatmen. An der Stelle, wo die Leiche gelegen hat, erhöhen wir die Konzentration. Derzeit sind wir bei etwa drei Prozent, aber ich arbeite schon daran, das noch etwas zu steigern. Und dann wird das natürlich noch ätzender.
Wasserstoffperoxid, die Alternative zur Chlorbleichlauge, wirkt prinzipiell genauso und ist zudem absolut geruchsneutral. Wir nehmen es allerdings nicht oft, weil es weitaus teurer ist als Chlorbleichlauge, aber manchmal, wenn ein Raum keine Fenster hat und deshalb nicht gelüftet werden kann, ist Wasserstoffperoxid besser geeignet, damit man nicht wochenlang denkt, man wohnt im Hallenbad. Einer von beiden Stoffen ist in jedem Fall nötig. Und beide teilen sich auch dieselben zwei Nachteile.
Erstens: Sie bringen nichts gegen Insekten. Das ist eigentlich unvorstellbar, weil das wirklich aggressive Substanzen sind. Gelangt Wasserstoffperoxid auf die Haut, ist diese wochenlang gebleicht. Und von der Chlorbleichlauge bekommt man extrem hässliche Verätzungen. Fliegenlarven oder Käferpuppen hingegen vertragen beide Stoffe tadellos. Ich weiß noch, wie enttäuscht ich nach den ersten Einsätzen war, weil ich dachte, dass ich mir mit dem Teufelszeug wenigstens die Schädlingsbekämpfung ersparen würde. Zumal wir sicherheitshalber wegen der geruchlichen Wirkung nach und nach die Dosierung erhöht haben. Aber nichts da, Maden und Käfer fanden das prima.
Der zweite Nachteil: Auch wenn Insekten über Chlorbleichlauge gleichmütig hinwegkrabbeln– Insektizide versagen völlig, sobald sie sich damit vermischen. Das heißt, nach der abschließenden Behandlung mit Chlorbleichlauge machen wir am Leichenfundort vorsichtshalber erst einmal 14 Tage Pause, damit die gesamte Lauge verdunstet ist, bevor wir mit Insektiziden anfangen. Gerade in den kleinen Ritzen und Winkeln braucht die Chlorbleichlauge am längsten, um abzutrocknen. Und abgesehen davon, dass
Weitere Kostenlose Bücher