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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Anders
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verwendet man nicht pur, man mischt sie mit Wasser zu Desinfektionslösungen an. Also tappten wir abwechselnd zum Bauernhof gegenüber und holten dort eimerweise Wasser. Die Leute dort haben uns angeschaut, als hätten wir nicht alle beisammen.
    Aber letzten Endes lernt man bei der Feuerwehr, beim Rettungsdienst, bei der Schädlingsbekämpfung ja auch allerlei. Zum Beispiel, dass man dem Opfer oder dem Kunden unbedingt die Sicherheit vermitteln muss, dass alles in besten Händen ist, schon damit keine Panik aufkommt. Dass man ihn aus dem verkeilten Auto rausholt, dass man seine Wespen in null Komma nichts draußen hat. Bei der Tatortreinigung droht zwar keine Panik, aber es arbeitet sich trotzdem besser, wenn nicht alle Menschen drum herum entsetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Wenn man also vor lauter Einsatzfreude übersehen hat, sich um die Wasserversorgung vor Ort zu kümmern, dann ist es wichtig, mit größter Selbstverständlichkeit dieses Wasser von Hand zu organisieren. Und wenn einen die Leute angucken, als wäre man nicht ganz dicht, dann guckt man zurück, als wäre man ganz besonders dicht.
    » Sie holen das Wasser eimerweise?«
    » Ja klar, das machen wir immer so.«
    Wir haben erst einmal die Wände mit Kohrsolin desinfiziert. Und dann haben wir versucht, die Treppe zu reinigen. Das heißt: Ich hab es versucht, weil ich Hardy zunächst mal nicht überstrapazieren wollte. Heute macht er alles, was ich auch machen würde, aber damals war das noch nicht so eindeutig abzusehen. Ich nutzte ihn als Handlanger, ließ mir das Material reichen und schrubbte mit meinem Eiweißreiniger die Treppe ab. Aber es war ziemlich schnell klar, dass das nicht helfen würde.
    Fünf Wochen hatte der Tote an dem Seil gehangen. Erhängte fallen gar nicht so schnell runter; das Bindegewebe mit der Wirbelsäule zusammen ist stabiler, als man glaubt. Zumal die Körperflüssigkeiten sich ja unten im Körper ansammeln, in den Beinen, in den Händen, die laufen dann regelrecht prallvoll. Während der Körper oben sozusagen ausdörrt, zäher wird und daher problemlos weiter am Strick hängt, sickert unten die Leichenflüssigkeit aus Blut, Wasser, Körpersäften aus den Gliedmaßen. Dann natürlich erst in die Schuhe, und wenn die voll sind raus und von da – tropf, tropf, tropf – auf die Treppe. Und wir reden hier nicht von einer Baugerüststahltreppe oder von einer modernen lackbeschichteten Laminattreppe, obwohl die Flüssigkeit auch diese Beschichtung kleinkriegen würde. Sondern wir reden von einer mittelalterlichen Treppe aus altem Holz. Die ist extrem gut abgelagert, extrem gut ausgetrocknet und daher auch extrem saugfähig. Wenn da über Tage hinweg die Leichenflüssigkeit schön gleichmäßig drauftrieft und von Stufe zu Stufe zu Stufe hinunterrinnt, dann sagt die Treppe mit all ihren vielen alten Holzritzen: » Herzlich willkommen! Immer herein damit!« Und wenn man da mit DES 3000 an der Oberfläche herumfuhrwerkt, passiert praktisch nichts.
    Es ist typisch, dass man so einen Fall im späteren Berufsalltag nie wieder erlebt. So etwas passiert prinzipiell bei der Premiere. Und während man noch überlegt, was man jetzt mit der Treppe am besten macht und dass man sie eigentlich einfach rausschlagen müsste, erfährt man, dass man mit ihr nichts machen sollte: Sie steht nämlich unter Denkmalschutz.
    Es war einer der seltenen Fälle, in denen der Denkmalschutz in Deutschland nicht das letzte Wort behalten hat. Mit dem Leichengeruch kann man nun einmal schlecht diskutieren. Also beschlossen wir, die Treppe zu entfernen. Oder wenigstens das, was wir von ihr entfernen konnten, was im Wesentlichen nur die Treppenstufen waren, sonst wäre das gesamte Treppenhaus zusammengebrochen. Wobei das Entfernen einfacher klingt, als es war. Heute liegen natürlich Motorsägen bei mir im Einsatzwagen parat, Mehrzweckschneider, alles ist da. Aber damals hatte ich noch nicht an so etwas gedacht. Damals habe ich die Stufen mit dem Nageleisen rausstemmen müssen, mit einer Art speziellem Brecheisen. Das waren massive Dinger, halbe Baumstämme, ich war fix und fertig. Außen stand Hardy und nahm die stinkenden Teile entgegen. Bei den Stehern, den dicken Balken, in die die Stufen einmontiert werden, war für mich Schluss. Das war mit dem Nageleisen auch nicht mehr zu machen. Außerdem wollten wir ja möglichst nicht den Turm abreißen.
    Wir haben die Trümmer hinausgebracht. Wir hatten keine Container organisiert, wir hatten uns

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