Was vom Tode übrig bleibt
man nicht unnötig mit Chemikalien herumspritzen sollte, ist es auch eine Preisfrage: Insektizide sind einfach zu teuer, um sie vergeblich herumzusprühen.
Zwei Wochen später sind wir wieder vor Ort. Der Geruch ist dann normalerweise weg, und wir können uns den Insekten widmen. Was wir jetzt – ebenfalls im Schutzanzug – aussprühen, sind Kontaktgifte mit einer Langzeitwirkung, die sich anschließend verflüchtigen. Wobei der Einsatz dieser Insektizide eigentlich theoretisch nicht immer nötig ist. Für sich einnistende Schädlinge wie den Speckkäfer schon, aber manchmal, wenn die Leiche nicht lange genug lag, damit der Speckkäfer sie finden konnte, hat man ja nur ein Fliegenproblem. Das könnte man problemlos auch aussitzen. Wenn die Fliegen nichts finden, wo sie ihre Eier ablegen können, kommen keine neuen. In manchen Wohnungen, die man vollständig entkernt hat, sind nicht einmal mehr Eier vorhanden. Aber auch in Wohnungen, die man nur zum Teil zerlegt hat und sich die Maden unter den Leisten zwischen Parkett und Wand verstecken, würden eben nach und nach alle vorhandenen Fliegenlarven schlüpfen. Man muss nur das Fenster öffnen und weg sind sie, umweltfreundlicher geht es nicht. Sie kommen auch nicht wieder, sie sind da unsentimental, eine Fliege ist ja kein Lachs. Aber diese Entwicklung über zwei, höchstens vielleicht vier Wochen hinweg wollen nicht alle Kunden abwarten. Ich denke, das ist zum Teil auch ein psychisch bedingter Wunsch. Wer gesehen hat, wie unglaublich schmutzig und abstoßend eine Wohnung sein kann, in der eine Leiche lange gelegen hat, der will sicher sein, dass alles bestimmt wieder ganz sauber ist. Vielleicht auch, um mit dem Gesehenen abschließen zu können. Also tun wir, was eben nötig ist.
Nachdem die Wohnung dann renoviert worden ist, ist sie normalerweise wieder vermietbar, und wer reinkommt, wird nie ahnen, was hier vorgefallen ist. Normalerweise.
Aber welcher Fall ist schon normal?
6. Premiere
Wir hatten drei Monate lang gewartet. Nachdem die Mitarbeiter des Münchner Kriseninterventionsteams mich gefragt hatten, ob ich das machen würde mit der Tatortreinigung, hatte ich erst kurz überlegt, dann zugestimmt– und jetzt war ich richtig heiß auf meinen ersten Fall. Aber es passierte drei Monate lang nichts.
Tagelang, wochenlang saß ich wie auf Kohlen. Ich war aufgeregt, neugierig, ich war bereit bis in die Haarspitzen und nichts passierte. Ich hatte doch längst mein komplettes Equipment bereitgestellt, das heißt, mein vermutlich komplettes Equipment. Es gibt ja keine Checkliste, was man als Tatortreiniger braucht. Und es gab auch keinen Branchenverband oder irgendwelche Vorschriften. Alles, was es gab, war das Infektionsschutzgesetz zum Umgang mit meldepflichtigen Krankheiten wie offener Tbc oder Hepatitis und mein Wissen, das auch nur daher stammte, weil ich ja bereits etliche Einsatzorte gesehen hatte, bei Wohnungsöffnungen der Feuerwehr. Ich wusste, wie die aussehen konnten, was sich an Problemstellungen ergeben konnte, und ich wusste, was die Feuerwehr mitschleppt, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Dementsprechend hatte ich mir etwas zusammengestellt, was ich mitnehmen wollte– unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ich nun einmal etwas weniger Platz zur Verfügung hatte als ein herkömmlicher Löschzug.
Ich hatte Desinfektionsmittel dabei, wie ich es vom Einsatz als Schädlingsbekämpfer kannte. Ich hatte DES 3000 im Gepäck, einen Eiweißreiniger für Blutflecke. Auf den hatte mich ein befreundeter Metzger aufmerksam gemacht, der damit jeden Tag nach Feierabend seine Metzgerei säuberte. Ich wusste, dass es stinken würde, also hatte ich Maskomal dabei, einen Geruchsneutralisator. Das empfahlen alle Händler in den Fachgeschäften. Ich hatte Overalls, Handschuhe, Bürsten, alles in drei übersichtliche Einsatzkisten verpackt, die ich heute noch benutze. Und ich hatte Hardy angeheuert, mit dem ich schon beim Aufbau meiner Schädlingsbekämpfungsfirma zusammengearbeitet habe und dem ich blind vertraue. Er ist Feuerwehrmann und Rettungssanitäter. Doch Hardy zu überzeugen war nicht leicht gewesen.
» Ich weiß nicht, ob ich das kann«, hat er gesagt. Aber ich hatte ihn ja oft genug vor Ort gesehen, ich wusste, dass er’s packen würde, wenn er erst mal anfing. Ich war immer gern mit ihm unterwegs, und bin es heute noch. Er ist 14 Jahre älter als ich, und wo ich anfange mich aufzuregen, wird er erst so richtig ruhig. Das ist angenehm
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