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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Anders
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damals noch keinerlei Gedanken darum gemacht, wie viel Schutt anfallen kann und wie man ihn abtransportiert. Wir haben das Zeug in Plastik verpackt auf die Ladefläche des VW-Busses geworfen, einen Teil im Privatauto mitgenommen. Ein Fehler, ebenfalls, weil wir damit den bestialischen Gestank mittransportierten. Aber das wussten wir nicht.
    Dann behandelten wir den kompletten inneren Turm abschließend mit Maskomal, einem bekannten Geruchsneutralisator. Das Zeug hilft bei Klärbecken, Abwassergruben, Gülle, das ist kein Kölnisch-Wasser, das ist ein echtes Wundermittel. Und gegen Leichengeruch hilft es auch.
    Einen Tag lang, bestenfalls. Dann ist er wieder da.
    Aber das ahnten wir damals noch nicht. Wir sahen uns erschöpft an, wir waren beide ausgelaugt und hungrig, weshalb wir essen gingen. Wir orderten zwei Pfeffersteaks und zogen Bilanz. Wir hatten uns ganz ordentlich aus der Affäre gezogen, fanden wir. Aber wir würden nie wieder ohne vorherige Besichtigung losziehen. Und dann fuhren wir mit unseren stinkenden Holzsäcken nach Hause und entsorgten sie beim Sondermüll.
    Es dauerte nicht lange, bis wir wieder angerufen wurden. Leider nicht wegen eines neuen Falles, sondern wegen unseres alten Turms. Die Straße roch immer noch praktisch unverändert. Wir hatten unsere zweite Lektion gelernt. Neutralisieren und Putzen helfen nichts, wenn man das, was stinkt, zurücklassen muss. Es musste alles raus, auch der Rest der Treppe. Wir fuhren in den nächsten Baumarkt und besorgten Holzbalken. Diesmal hatten wir daran gedacht, Sägen mitzunehmen. Wir schnitten uns Stützbalken zurecht und setzten sie in den Turm ein. Und dann schlugen wir die Treppenbalken heraus. Es ist einer der wenigen Vorteile unseres Berufs, dass wir uns keine Gedanken machen müssen, wie die Leute dann anschließend zu einer neuen Treppe kommen. Wir sind die, die den Laden so lange auseinandernehmen, bis er nicht mehr stinkt. Und mit den Balken war das Problem gelöst. Dann behandelten wir die Mauern noch einmal mit Maskomal und hatten diesmal immerhin Glück: Die Mauern aus Naturstein hatten den Geruch kaum angenommen, einfach aus dem schwer erklärbaren Grund, dass jeder Einsatzort anders ist. Heute wäre ich da extrem skeptisch, damals genügte einfach die zweite Behandlung, wie gesagt: Glück. Aber wir waren misstrauisch geworden und wir beschlossen, etwas Wirksameres gegen den Geruch zu suchen. Und letzten Endes hätte uns wohl nichts Besseres als dieser Einsatz passieren können.
    Weil wir dadurch gelernt und unsere Defizite erkannt haben, schneller, als wenn alles glattgegangen wäre.

7. Schnupperkurs
    Einen Geruch empfinden wir nur dann als übel riechend, wenn er vom Gehirn als schlecht oder schädlich bewertet wird. Der Rauch eines brennenden Autoreifens stinkt, weil das Gehirn uns davor warnt, brennenden Gummi einzuatmen. Dagegen riecht glimmender Pfeifentabak für diejenigen angenehm, die es gelernt haben, ihn als wohlriechend zu empfinden. Oder sehr reifer Käse: Je nachdem, wie sehr man Käse schätzt, wird man den Geruch bewerten. Gestank ist also, was das jeweilige Gehirn aus einem Geruch macht. Es gibt allerdings Gerüche, über deren Bewertung sich sämtliche menschlichen Gehirne einig sind. Leichengeruch ist einer davon.
    Das liegt daran, dass hier ein Urinstinkt angesprochen wird. Erstens riecht es nach Tod, zweitens nach Ungenießbarem, auf jeden Fall aber warnt unsere Nase uns davor, uns dort aufzuhalten, wo dieser Geruch herrscht. Also übernimmt das Gehirn eine Serviceleistung für uns und übersetzt die Warnung gleich in eine körperliche Reaktion: in Ekel. Wir fühlen uns nicht wohl und wollen den stinkenden Ort schnell wieder verlassen. Das Gehirn ist sogar so programmiert, dass es noch eine Sicherheitsstufe mit abruft, den Würgereiz, ein weiteres Relikt aus Urzeiten: Wenn man in der Nähe der Stelle mit Leichengeruch etwas gegessen hat, soll es raus– da geht der Körper gerne auf Nummer sicher.
    Den Leichengeruch selbst zu beschreiben ist schwer, nahezu unmöglich. Gut, er ist muffig, süßlich, modrig, und bei mäßiger Belastung kann man verwandte Gerüche feststellen, dann erinnert er an Kompost oder auch an bestimmte vergorene Essige. Bei massivem Auftreten fällt einem jedoch absolut nichts Ähnliches mehr ein. Wer ihn unvorbereitet in die Nase bekommt, der erlebt seine eigenen Instinkte in der Naturform: Direkt über die Nase zum Würgereiz, da gibt’s kein Nachdenken oder Bewerten mehr, dann übernimmt der

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