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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Anders
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Körper die Kontrolle. Letztlich ist das meine Jobversicherung.
    Denn aus einem Raum, in dem eine Leiche lange gelegen hat, bekommt man den Geruch ähnlich schwer raus wie den von Rauch nach einem Zimmerbrand. Um das zu verstehen, hilft es, wenn man weiß, woraus Gerüche bestehen. Und wie Gerüche verschwinden.
    Ein Geruch setzt sich aus einer bestimmten Menge von Molekülen zusammen, die sich an die Rezeptoren in unserer Nase anlagern, ein Molekül reicht da nicht aus. Geruch verschwindet dementsprechend erst dann wieder, wenn diese Moleküle nicht mehr vorhanden sind: Das kann man nur erreichen, indem man sie auflöst. In diesem Fall greift der Sauerstoff der Luft Teile der angedockten Moleküle an und zerstört diese. Denn ein Geruchsmolekül riecht nur mit all seinen Bestandteilen, fehlen ihm einige davon, ist es nur noch irgendein Molekül, das nicht mehr riecht– das ist so, als ob man aus dem Wort » Stinken« das » t« entfernt hätte. Leider geben nicht alle Geruchsmoleküle ihre Bestandteile gleich gern her.
    Wenn man beispielsweise Kaffee kocht, dann verschwindet der Duft ziemlich schnell. Dazu muss man nicht einmal die Wohnung lüften. Schon schwieriger wird es, wenn man in einer Küche etwas brät oder frittiert. Das liegt daran, dass in diesen Fällen besonders stabile langkettige Kohlenwasserstoffe entstehen, die der Sauerstoff nur sehr schwer knacken kann. Leichengeruchsmoleküle kann man damit vergleichen, aber diese sind noch viel resistenter. Weil Leichengeruchsmoleküle so haltbar sind, bleiben sie lange in der Luft und haben daher auch reichlich Zeit, sich überall anzulagern. An Möbeln, Teppichen, an den Wänden. Entscheidend ist dabei die Oberfläche der jeweiligen Gegenstände. Kann Luft in sie eindringen, werden auch die Geruchsmoleküle dorthin transportiert, mit denen die Luft gesättigt ist. Und Luft kann in mehr Dinge eindringen, als man gemeinhin annimmt.
    Da geht es nicht nur ums Gehäuse vom Fernseher oder um die Matratze des Bettes oder die Kleidung, die man beim Tatortreinigen trägt. Luft zirkuliert im Boden, in den Wänden, Luft durchdringt alle Flächen, die porös sind. Porös können leider auch Flächen sein, die optisch sehr glatt wirken, wie Kunststoffe, Lampengehäuse, Plastikteile, Dichtungen. Und fast überall, wo die Luft hinkommt, bleiben diese zähen Leichengeruchsmoleküle hängen, die nur schwer vom Sauerstoff angegriffen werden können. Das ist sogar in der eigenen Nase so: Noch Stunden, nachdem ich vom Leichenfundort nach Hause gekommen bin, lösen sich immer wieder Geruchsmoleküle. Dann sitze ich zu Hause und lese Zeitung oder bin beim Essen im Restaurant oder sehe fern und plötzlich habe ich einen sekundenlangen Flashback und es riecht ganz kurz nach Leiche. Was mich vor allem anfangs immer irritiert hat, weil außer mir niemand diesen Geruch wahrnimmt und sich alle um mich herum auch vollkommen normal benehmen.
    Unser Job ist nun, die Geruchsmoleküle zu entfernen, die sich entfernen lassen, und die übrigen Moleküle zu zerstören.
    Entfernen ist simples Handwerk. Wir werfen alles raus, was den Geruch angenommen hat. Aber wenn wir alles beseitigt haben, was man entfernen kann, und der Geruch ist immer noch da, müssen wir die Moleküle zerstören, und das ist schon schwieriger. Manche Kollegen schwören auf Ionisation und arbeiten mit ziemlich teuren Geräten, die die Luft im Raum ansaugen und dann die Gerüche zerstören. Das ist vom Prinzip her in Ordnung, praktisch aber oft unwirksam, weil man überhaupt nicht so stark saugen kann, dass man sämtliche Geruchsmoleküle aus der Wand zieht. Andere Kollegen arbeiten auch mit Geruchsüberdeckern, so wie wir bei unserem ersten Einsatz in Greding, aber sobald die Überdeckungswirkung nachlässt, zeigt sich, dass die Leichengeruchsmoleküle immer noch da sind.
    Wir arbeiten vor allem mit Chlorbleichlauge. Sie ist für Geruchsmoleküle so etwas wie eine vorgehaltene Pistole, die sie zur Reaktion zwingt. Der Grund ist, dass die Lauge einzelne Sauerstoffatome freisetzt, die in der Raumluft normalerweise nicht vorkommen. Die Raumluft enthält zwar auch Sauerstoff, aber als Molekül: hier sind die Atome immer paarweise. Chlorbleichlauge kann Sauerstoffatome freisetzen, weil sie sehr reaktionsfreudig ist: Die Energie des Tageslichts an einem nebelverhangenen Novembernachmittag genügt bereits, um Sauerstoffatome abzuspalten. Was ist nun das Besondere an diesen Atomen? Was können sie, was andere Atome nicht

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