Was vom Tode übrig bleibt
rund ums Bett aufsprühen, ein Kontaktinsektizid, das die Wanzen in jedem Fall durchqueren müssen, wenn sie ins Bett wollen– Wanzen kommen immer über den Boden. Da kann man sich als viel gebissenes Opfer dann mit einer gewissen Genugtuung als Köder ins Bett legen, und soll es sogar– weil sonst die Wanzen keinen Grund haben, sich auf den Weg zum Gift zu machen. Wenn der Schädlingsbekämpfer wirklich gründlich gearbeitet hat, ist eine Nachbehandlung nicht mehr notwendig. Und deswegen machte ich mir auch in diesem speziellen Fall zunächst keine Sorgen.
Wir wollten die Wohnung einer Sozialhilfeempfängerin entwanzen, aber » entwanzen« war hier kaum der passende Ausdruck, weil ich eine derart verwanzte Wohnung in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen habe. Bettwanzen sieht man tagsüber normalerweise nicht, sie sitzen in ihrem Versteck im oder beim Bett und kommen erst nachts raus. In dieser Wohnung war es aber anders. Die Tiere krabbelten bei Tage durchs Wohnzimmer und an sämtlichen Wänden hoch. Wir konnten sie auch riechen. Wenn Wanzen in Massen auftreten, verströmen sie einen penetranten, mildsüßlichen Geruch. Da weiß man dann sofort: Das sind mehr als nur eine Handvoll.
Die Dame hatte sich über Jahre hinweg nicht getraut, Hilfe zu holen, weil es ihr peinlich war und weil sie das Geld nicht hatte. Anzurufen traute sie sich erst, als der Leidensdruck zu hoch war. Sie schlief höchstens noch zwei Stunden pro Nacht, und sie war so zerstochen, als stünde ihr Bett mitten in einem Sumpfgebiet. Dass es so schlimm sein könnte, hatte ich nicht geahnt, denn sonst hätte ich Überschuhe mitgenommen. So stand ich zwar in meinem Overall da, aber ich hatte nur ganz normale Turnschuhe an. Und wenn bei Schuhen der Schaft nicht über den Knöchel geht, kann man den Overall an dieser Stelle nicht mit Klebeband richtig dicht abkleben.
Ich habe noch vom Einsatzort aus bei Petra angerufen, sie möchte mir zu Hause in der Garage eine Schleuse aufbauen. Das klingt technischer, als es ist, es ist genaugenommen dasselbe, was ich Urlaubern rate, die mich noch aus ihrem wanzenverseuchten Hotel anrufen und fragen, was sie tun können, damit sie die Tiere nicht mit in ihr Haus schleppen. Ich sage ihnen dann immer, dass wir uns vor ihrer Haustür treffen, dass sie ihre Wäsche und Kleidung in Plastiktüten verpacken und uns samt ihrem Gepäck geben sollen. Die Leute ziehen sich dann aus bis auf die Unterhose, gehen ins Haus unter die Dusche, wir bringen die Kleider in die Reinigung und behandeln das Gepäck. Das klingt ein wenig rabiat, aber es hilft absolut zuverlässig. Und so ähnlich wollte ich es auch zu Hause machen.
Ich brauchte einen kompletten frischen Wäschesatz sowie dichte Wäschebeutel, in die ich meine Kleider zum Waschen stecken kann. Das sind spezielle Beutel, die hermetisch abschließen und die man verschlossen in die Waschmaschine gibt, damit man sie nicht noch einmal öffnen muss und dann womöglich die Tierchen in der ganzen Wohnung verstreut– und diese Beutel lösen sich in der Waschmaschine bei Kontakt mit Wasser restlos auf. Die Turnschuhe habe ich gleich mit Insektizid behandelt, verpackt und weggeworfen. Außerdem hatte mir Petra schon die Badewanne eingelassen. Es funktionierte auch alles tadellos, wir machten das ja nicht zum ersten Mal, aber ich habe vor lauter Eile, um in die Wanne zu kommen, vergessen, die Socken zu wechseln. Und ich erinnere mich noch genau, wie ich mich in die Badewanne setze und genüsslich ins heiße Wasser rutsche und dann auf meine Socken blicke, die auf den Badezimmerfliesen liegen.
Und auf den Socken erkenne ich drei schwarze Punkte.
Ich bin so schnell wieder aus der Wanne raus wie noch nie in meinem Leben und habe sofort die Socken eingesammelt, rausgetragen und mit Insektizid behandelt. Dann habe ich sie noch einmal separat in eine Plastiktüte gepackt und in den Müll gestopft. Petra war stinksauer. Ich habe in der Nacht kein Auge zugemacht, und sie vermutlich auch nicht. Und am nächsten Morgen bin ich sofort in aller Frühe zur Mülltonne, habe die Sockentüte rausgeholt und überprüft, ob die Viecher wirklich unschädlich waren. Sie waren. Aufs Insektizid kann man sich verlassen, vor allem, wenn man feststellt, dass man damit letztlich nur drei Körner Grassamen behandelt hat.
Ist vielleicht auch seltsam: ein Schädlingsbekämpfer mit Angst vor Bettwanzen. Aber sie ist natürlich berechtigt. Die Gefahr, dass man sich was einschleppt, besteht immer, und je
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