Was vom Tode übrig bleibt
Bauen« sicher noch an die gute alte Backsteinzeit denken: Beim Betonieren werden sämtliche Bestandteile des Hauses aus Beton gegossen. Man muss dazu für jede Wand, jede Decke eine Art Gussform errichten, was man » Einschalen« nennt. Für eine Wand braucht man beispielsweise zwei senkrechte dünne Holzwände, zwischen die man den Beton gießen kann, für eine Decke errichtet man auf Stahlträgern so etwas Ähnliches wie einen großen leeren Sandkasten, den man mit Beton füllt. Wenn er voll ist, lässt man den Sandkasten trocknen und entfernt anschließend die Bretter– das ist dann das sogenannte Ausschalen. Die Arbeit an so einer Baustelle besteht aus einem ständigen Ein- und Ausschalen, und möglicherweise hatte der 35 -Jährige dabei den Überblick verloren. Jedenfalls hatte ihm niemand aufgetragen, den Stahlträger unter der Decke des obersten Stockwerks zu entfernen.
Es wäre ja auch ohne Sinn und Zweck gewesen: Das obere Stockwerk war definitiv noch nicht fertig. Es bestand aus den Holzplatten, die über die Stahlträger gelegt worden waren, und aus etwas Zement, aber so wenig Zement, dass man die Holzplatten darunter gut erkennen konnte. Das oberste Stockwerk war deutlich sichtbar nicht fertig, weshalb es auch keinen Anlass gab, jetzt schon vom Stockwerk darunter die Träger herauszuziehen. Der Arbeiter tat es trotzdem. Dann stieg er nach oben.
Vielleicht waren ihm zwischenzeitlich selbst Zweifel gekommen, ob er die Träger an der richtigen Stelle entfernt hatte, weshalb er es überprüfen wollte. Jedenfalls trat er dabei genau auf das Brett, unter dem der Stahlträger fehlte. Als wir eintrafen, hing es noch immer schräg in der Luft, die eine Seite notdürftig gehalten von einem Klecks Beton. Der Mann stürzte in den Aufzugschacht, in dem noch kein Aufzug war, etwa zwölf Meter in die Tiefe.
Er war mit dem Kopf voran aufgeschlagen. Als Klaus und ich um acht Uhr morgens eintrafen, konnten wir es am Helm erkennen, der noch im Schacht lag. Der Helm war zerbrochen, ein Beleg dafür, dass er ihn bis zum Schluss aufgehabt hatte. Im Sockelbecken des Aufzugschachts hatte sich zwar Regenwasser angesammelt, aber nachdem das Becken nur knapp knietief war, hatte das Wasser den Aufprall natürlich nicht gedämpft. Der Schlag hatte den Schädel des Arbeiters zertrümmert, und dann war er bewusstlos verblutet. Der Helm trieb jetzt im Sockelbecken des Aufzugschachts wie in einem blutroten, unglaublich dreckigen Planschbecken.
Das lag nicht daran, dass an dieser Baustelle besonders unordentlich gearbeitet worden wäre, sondern daran, dass Baustellen generell furchtbar unaufgeräumt sind. In dem weinroten Wasser trieben Plastikteile, Zigarettenschachteln, Fetzen von Dichtungswolle, aber auch die gebrauchten Einmalhandschuhe des Notarztes. Auf dem Absatz vor dem Becken war ein weiterer roter Fleck– dort hatte man den Toten abgelegt, nachdem er herausgeholt worden war. Wir hatten gerade unsere Overalls und die doppelten Handschuhschicht angezogen, als mein Handy klingelte. Unser Kontaktmann vom Kriseninterventionsteam war dran.
Wir verdankten ihm den Auftrag: Die Baufirma hatte nach einem externen Reinigungstrupp gefragt, weil man diese Arbeit der portugiesischen Baumannschaft nicht zumuten wollte. Sie stammten alle aus einem Dorf, größtenteils sogar aus einer Familie, und auch wenn Bauarbeiter keine Sensibelchen sind, wäre es unverantwortlich gewesen, sie den Schlamassel beseitigen zu lassen. Andererseits verdankten wir der besonderen Zusammensetzung der Bautruppe nun auch den morgendlichen Anruf. Wir erfuhren, dass eine Trauerfeier an der Baustelle angesetzt worden war, mit Pfarrer, Angehörigen, mit allem, was dazugehört– und zwar in nur drei Stunden. Ich versprach, dass wir bis dahin fertig sein würden.
Als Erstes desinfizierten wir mit Kohrsolin den Betonabsatz mit dem Blutfleck. Wenn die Trauerfeier hier stattfinden sollte, hatte der Absatz definitiv Vorrang. Nachdem das Unglück noch nicht lange zurücklag, war auch die Reinigung nicht so problematisch. Wir setzten dreimal Chlorbleichlauge ein, schrubbten kräftig, dann war der Fleck weg. Das war ein guter Anfang, ich hatte mir das Ganze mühsamer vorgestellt.
Jetzt mussten wir nur noch das Becken leeren. Dazu deckten wir zunächst den frisch geputzten Betonsockel mit Plastikfolie ab. Man will die Arbeit ja nicht doppelt machen. Leider konnten wir die Tauchpumpe nicht nutzen.
Die Tauchpumpe ist eine praktische Sache. Man versenkt sie im Wasser,
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