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Was vom Tode übrig bleibt

Was vom Tode übrig bleibt

Titel: Was vom Tode übrig bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Anders
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normalerweise nicht allzu viel darüber. Aber alle, die sich für meinen Beruf interessieren, hätten mir zumindest in einem Fall einen Tag lang bequem auf die Finger schauen können, wenn sie am richtigen Tag am richtigen Ort gewesen wären. Und der war an diesem Tag ein Mietshaus im Münchner Südwesten.
    Das Münchner KIT rief uns an, ein 39 Jahre alter Mann war in seiner Wohnung gestorben. Er war alkoholkrank, er hatte– wie bei Alkoholikern oft der Fall– eine Leberzirrhose, damit die ebenfalls gängige Durchblutungsblockade in der Leber, bei der sich das Blut seine Umwege im Körper auf kleinen Nebenleitungen, den Ösophagusvarizen, sucht, die für diese Blutmenge nicht vorgesehen sind und die dann irgendwann platzen. Es war dasselbe Prinzip wie bei dem 23 -Jährigen, der sich totgesoffen hatte. Nur waren die Varizen bei dem 39 -Jährigen nicht in seinem Zimmer geplatzt, sondern als er frühmorgens gegen halb fünf auf dem Balkon stand, um ein Zigarettchen zu rauchen.
    Ihm war zunächst schlagartig schlecht geworden und dann hatte er sich übergeben. Wenn man dabei auf dem Balkon steht, hat man zwei Möglichkeiten: Man erbricht sich auf seinen eigenen Balkon oder über die Brüstung. Auf den eigenen Balkon zu speien ist natürlich rücksichtsvoller, aber ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, ob ich in einer solchen Situation darauf Rücksicht nehmen würde– dieser Mann wählte jedenfalls die andere Option und spuckte einen riesigen Schwall Blut knapp über seine Brüstung. Das war nicht gut für den Balkon darunter, für den Balkon unter dem Balkon auch nicht, und davon gab es eine ganze Menge, denn die Brüstung des 39 -Jährigen befand sich im siebten Stock. Das Blut tropfte von jeder der strahlend weiß gefliesten Brüstungen zur nächsten, jedes Mal mit drei Metern freiem Fall dazwischen, bildete beim Auftreffen einen kreisförmigen feinen roten Sprühnebel, bis es dann schließlich unten auf den Boden der Grünfläche vor dem Haus aufschlug.
    Optisch ungünstig war dabei, dass die Grünfläche in dieser Jahreszeit nicht sehr grün war. Es war Januar, es lag kniehoch Schnee, und vor dem Balkon sah der Schnee in einem Meter Umkreis aus, als hätte gerade jemand mit dem Mund voll Tomatensaft aus dem Fenster gesehen, während ihm jemand anderes einen unglaublich guten Witz erzählte.
    Der Mann hatte sich daraufhin vom Balkon zurückgezogen und war wieder in die Wohnung getaumelt. Seine entsetzte Frau hatte den Notarzt gerufen, während er ins Bad wankte und sich in die Toilette erbrach. Dann war er bewusstlos geworden, neben die Toilette gesackt und war zusammengekrümmt auf dem flauschigen blauen Badezimmerteppich verblutet. So lag er noch da, als wir eintrafen.
    Die Amtsärztin stand daneben und stellte gerade den Tod fest.
    » Ich habe eine Bitte«, sagte sie zu uns, » könnten Sie mir einen Gefallen tun?«
    » Worum geht’s?«, fragte ich.
    » Der Bestatter wird ihn gleich abholen, er ist aber noch nicht da«, sagte sie. » Die Angehörigen sind aber schon nebenan. Könnten Sie ihn etwas herrichten? Sodass die Angehörigen Abschied nehmen können?«
    Ich blickte auf den Toten. Er war so blass wie die Toilettenschüssel und genauso blutverschmiert.
    » Was verstehen Sie unter Herrichten?«, fragte ich.
    » Na ja, was eben geht«, sagte sie, » wenn Sie das Blut abwischen könnten und ihn etwas würdevoller hinlegen? Nur auf die Schnelle eben.«
    » Na gut«, sagte ich, » das können wir schon machen.«
    Ich tränkte einige Einwegtücher mit kaltem Wasser und wischte ihm das Blut vom Gesicht. Dann zogen wir ihn von der Toilette weg, rückten ihn kurz gerade und klappten den Toilettendeckel herunter. Ich weiß nicht, ob er jetzt so viel würdevoller aussah als vorher. Jedenfalls verließen wir das Badezimmer und ließen die Angehörigen hineingehen. Währenddessen kam der Bestatter, und wir besprachen uns mit dem KIT.
    Die Reinigung musste in jedem Fall möglichst schnell erfolgen. Erstens war die komplette Fassade blutverschmiert. Und zweitens war der Tote mit Hepatitis C infiziert, weshalb wir bei der Entfernung des Blutes nicht trödeln durften. Das Günstige war, dass es noch früh am Tag war, wir hatten eine gute Chance, die Mieter der Balkone darunter noch zu Hause anzutreffen– das konnte uns die mühsame Organisation einer Leiter sparen. Und tatsächlich klappte es fast überall, mit Ausnahme des Erdgeschosses, aber da konnten wir ja von außen auf den Balkon steigen.
    Zunächst beorderte ich

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