Was - Waere - Wenn
verloren.
Wenn ich mir bei Cliff Richard nicht sofort das Leben nehmen
müßte, würde ich am nächsten Morgen einen Song von ihm spielen. Als Moritz mich
in mein Büro nach Altona fährt, hängt ein Hauch von »It’s so funny, how we
don’t talk anymore« in der Luft. Noch immer hat keiner von uns einen Ton
gesagt. Was, wenn das jetzt die nächsten zwanzig Jahre so weitergeht? Ganz
schön langweilig wäre das, denke ich, und breche das Schweigen.
»Du tust so, als hätte ich gestern abend auf den Tisch gekotzt und
anschließend den Oberkellner verführt«, greife ich an, um mich zu verteidigen.
Moritz wirft mir einen bösen Seitenblick zu.
»Du hast dich auf den Tisch übergeben«,
wiederholt Moritz, was ich eben gesagt habe, wenn auch in gewählterer Sprache.
»Verbal hast du genau das getan.«
»Mein Gott, das war doch nur ein Witz!«
»Nicht gerade die Sorte Witz, die meine Frau bei einem
Geschäftsessen erzählen sollte«, werde ich von Moritz gemaßregelt.
»Geschäftsessen?« wiederhole ich. »Seit wann war das ein
Geschäftsessen? Ich denke, das war eine Geburtstagsfeier unter Freunden?«
»Du weißt doch, daß sich das manchmal nicht so leicht voneinander
trennen läßt.«
»Das mußt du mir schon etwas genauer erklären.«
»Dirk ist Leiter der Rechtsabteilung des Unternehmens, mit dem wir
gerade in Verhandlungen stehen«, fängt Moritz an, »und zwei der drei Herren,
die gestern abend mit dabei waren, sind nicht nur Bekannte von Dirk und Isa,
sondern auch im Vorstand.«
»Aha«, erwidere ich, »Vetternwirtschaft.«
»Was heißt hier Vetternwirtschaft?«
»Dirk versucht, dir einen Auftrag zuzuschieben, das heißt das.«
»Na und?« Moritz sieht irritiert aus. »Was spricht denn dagegen?
Freunde helfen sich eben gegenseitig, das ist doch normal.« Bleibt nur die
Frage, ob wir vier wirklich Freunde sind oder nur eine Zweckgemeinschaft.
»Und wem gehört die Firma, in der Dirk arbeitet?« frage ich, weil
ich plötzlich einen Verdacht habe.
»Tu doch nicht so, Isas Vater!« Treffer, versenkt.
»Scheint, als wären wir untrennbar miteinander verbandelt«, stelle
ich fest. La Famiglia, quasi. »Und wegen Isa habe ich den Job bei Arts &
Tainment«, stelle ich als nächstes fest.
»Sie ist eben deine Freundin.« Tja, warum nur? Aber ich sage es
nicht laut. Eins steht jedenfalls fest: So, wie Isa mich behandelt, bestimmt
nicht, weil sie mich ach so gern mag. Wäre interessant zu wissen, was sie sich
von mir verspricht. Außer der Kalkulation, die mir in diesem Moment wieder
siedendheiß einfällt. Ich ziehe in Erwägung, einen Herzanfall vorzutäuschen.
Oder einen Hörsturz. Oder irgend etwas anderes, was mir den bevorstehenden Tag
im Büro erspart. Aber dann denke ich mir: Je eher es vorbei ist, desto besser.
Dann bin ich halt nur noch wohlsituierte Ehefrau. Gibt Schlimmeres.
Als ich in mein Büro komme, klebt ein neongelbes Post-it mitten
auf meinem Computerbildschirm.
»Drucker geht wieder«, steht da. »Warte auf die Kalkulation. I.«
Ich schalte den PC ein und klicke mich
durch einige Dateien, die ich offensichtlich mal erstellt habe, als ich noch
Ahnung von der Materie hatte. Dabei entdecke ich ein Dokument mit dem
vielversprechenden Titel »Kalkulation Snacky Snack«. Meine Rettung? Ich öffne
sie und versuche, aus den verschiedenen Zahlen darin schlau zu werden. Sagt mir
alles nichts. Egal, die muß jetzt herhalten. Ich speichere sie unter dem Titel
»Gold Legs« ab und fülle überall, wo »Snacky Snack« steht, einfach den Namen
der Strumpfhose ein. Zehn Minuten später surrt meine erstklassige Kalkulation
aus dem Drucker. Ich schiebe sie in eine Klarsichtmappe und trage sie stolz zu
Isas Sekretärin.
Erledigt von so viel intellektueller Arbeit beschließe ich als
nächstes, erst einmal etwas zu entspannen. Ich schnappe mir ein Blatt Papier,
schreibe »Besprechung – bitte nicht stören« darauf und pappe es an meine
Bürotür, die ich danach vorsichtshalber abschließe. Zehn Uhr dreißig, genau die
richtige Zeit für eine erste Frühstückspause!
Draußen marschiere ich geradewegs in Richtung früheres Drinks &
More, das nur fünf Gehminuten von meiner neuen Schaffensstätte entfernt liegt.
Einen kurzen Moment hoffe ich, daß ich mir den Copy-Shop nur eingebildet habe
und an der Ecke jetzt wieder Tims Herzstück steht.
Doch der verlauste Kopierladen ist immer noch da. Allerdings ist die
Tür verschlossen. Haben ja interessante Öffnungszeiten hier! Wahrscheinlich ist
der Shop
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