Was weiß der Richter von der Liebe
einem Jahr habe sie da nichts mehr gehört, niemand kümmere sich. Niemand kümmere sich um die Misshandlungen, die wüsten Auseinandersetzungen, und mittendrin, sagt Frau Persigehl, das kleine Kind.
Sie habe es, sagt Frau Persigehl, auch schon einmal ganz alleine vorm Haus gefunden, aber die Polizei zu rufen, das traue sie sich nicht mehr, das helfe ja doch nicht, am Ende habe sie noch das Kind entführt. Alles hat Frau Persigehl versucht, sagt sie, aber das Jugendamt, da kann man ja anrufen, wie man will, die Polizei will auch nichts wissen, sie sei nur noch froh, wenn sie da wegkomme, sagt Frau Persigehl, und als sie sich abwenden will zur S-Bahn hin, da mögen wir sie auf einmal nicht gehen lassen und sprechen los: Ein bisschen geschickter müsse sie halt schon sein, wenn all das stimme. Zeugen müsse sie sich holen, wenn das Kind einmal wieder alleine geblieben sei, Zeugen, bevor die Polizei kommt, und, so sagen wir Frau Persigehl in ihr entschlossenes Gesicht hinein: Leute zu überfallen sei ja nicht die beste Methode, um Gerechtigkeit werden zu lassen.
Das weiß Frau Persigehl auch irgendwie, aber irgendwie interessiert es sie auch nicht; was passiert ist, ist passiert, jetzt geht sie eben mit sieben Monaten auf Bewährung durchs Leben, ach wenn man sonst keine Probleme hätte. Andere hat man hier geknickt wegschleichen sehen, anderen kam die Reue muffig aus den Poren, Frau Persigehl aber steht aufrecht in der Moabiter Frühsommersonne, und sie weiß: Was geschehen ist, ist in Hohenschönhausen geschehen, sie wollte nur den Hund bewahren,wo schon niemand den Kindern hilft, ihre Gerechtigkeit ist nicht die Gerechtigkeit der Justiz. Frau Persigehl wird jetzt gehen. Sie sagt: »Man sieht sich.« Dann sieht man sie nicht mehr.
EIN ABEND IM MONSTERKELLER
Was getan werden konnte, ist getan worden, alle Bahnen sind auf ihre Schienen gesetzt, aller Quark ist tüchtig gerührt worden, ein Juchhei von Format hat es gegeben, publizistischen Donnerknall aus Blut, Qualen, Blöße und Kunst – nun dürfen die Verteidiger ran. Plädoyers halten. Ach, das finden die heute zur Abwechslung richtig ulkig. Es geht um nix Dolles, aber tüchtig Publikum ist da, dankbares Multiplikantenpublikum, das sich ja vor Gericht zur Abwechslung auch einmal amüsieren darf – da wird sich rasch durchgeplustert, und dann geht es los.
Der erste Verteidiger von dreien erhebt sich (wir haben drei Angeklagte heute), er hat schon vieles gesehen, hat schon ganz andere Knochenbrüche in seinen Akten zu inspizieren gehabt als die zweier zarter Kaninchengenicke, hat schon tonnenweise schwerere Vorwürfe wegzuschaufeln gehabt als die heutigen, und befreit von allem irdischem Ernst spielt er auf zum Plädoyer, er sagt: »Ich komme vom Lande, ich weiß nicht, was hier los ist.« Und warum weiß er das nicht? Darum: Früher, als er jung war, als er noch studierte und niemand ihm vorhersagte, er werde einmal einen Ex-Biofleischer wegen Beteiligung an einer Kaninchentötung verteidigen müssen – damals also, da war noch was los. Da habe ja der Otto Mühl, es war im Dezember 1969, in Braunschweig so richtig einen losgemacht, habe öffentlich ein Schwein halbiert, eine Frau in eine der Schweinehälften gelegt und habe dann einen Kopulationsversuch, so komisch aber auch, wegenerektiler Dysfunktion abbrechen müssen. Man stelle sich vor! Wie die Berichterstattung ausgesehen habe. So war das damals, die Welt war rund, wild und willig, man spürte das bis hin nach Braunschweig.
Heute aber leben wir in einer anderen Zeit: Bedenkenträger allenthalben, Schattenparker. Tierschützer! In einem Vorgespräch, spricht der erste Verteidiger, habe ja der Staatsanwalt selbst zu ihm gesagt: Wegen des Medieninteresses bekomme er die Sache gar nicht mehr auf die Größe zurück, die sie eigentlich habe. Denn wer hat sich nicht alles eingeschaltet in den Fall der Kaninchenhinrichtung – Tierschutzverein, Lokalpolitik,
B.Z.
-Leser en masse. Wenn das einmal kein öffentliches Interesse ist, wie es jeder Staatsanwalt und Richter lieber meiden würde. Und wenn das einmal kein öffentliches Interesse ist, wie es jede Kunst veredelt, segnet und inspiriert. Dem Künstler ist dazu sogar eine Installation im Internet eingefallen, will sagen: Er zeigt ein paar der Fluchmails vor, die ihn seit der Tötung erreichten, sogar viele aus Frankreich dabei.
Der zweite Verteidiger steht auf, er steht dem Künstler zur Seite. Der Spaß ist auch ihm anzumerken: Jeder habe ja heute,
Weitere Kostenlose Bücher