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Was will man mehr (German Edition)

Was will man mehr (German Edition)

Titel: Was will man mehr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Rath
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Vielleicht komme ich bei der Gelegenheit ja auch an einer Uhr vorbei.
    «Entschuldige mich einen Moment», höre ich mich sagen.
    Elisabeth nickt. «Klar. Alles in Ordnung mit dir?»
    Ich nicke ebenfalls.
    Als ich den Hinterhof des Hotels betrete, umfängt mich kühle Abendluft. Ich blicke in den Himmel und genieße die Stille und den Frieden. Das war knapp. Noch ein, zwei Drinks und ein paar Minuten länger in dieser stickigen Bar, und ich wäre mit Sicherheit betrunken gewesen. Nur gut, dass ich mich sehr genau kenne und abschätzen kann, was ich vertrage.
    «Hatten Sie vielleicht ein Taxi bestellt?», höre ich eine Stimme sagen.
    «Nein», erwidere ich und drehe den Kopf, um zu sehen, wer mich da angesprochen hat. Es ist niemand da, außer einer Ratte, die auf einer Mülltonne steht und mich aufmerksam ansieht.
    «Was soll das?», frage ich perplex.
    «Was soll was?», erwidert die Ratte.
    Ich stutze. «Reden wir hier gerade miteinander?»
    «Sieht ganz so aus», sagt die Ratte.
    «Und warum reden wir miteinander?»
    «Weil du besoffen bist», erwidert die Ratte. «Voll wie ein Eimer. Jenseits von Gut und Böse. Kurz gesagt: hageldicht.»
    «Aha», erwidere ich aufgeschmissen.
    «Es ist im Grunde ganz einfach», sagt die Ratte. «Ich bin so eine Art tiefenpsychologischer Bote. Ein Hinweis von deinem Unterbewusstsein, dass dein Alkoholkonsum eine bestimmte Grenze überschritten hat. Man könnte auch sagen, ich bin die letzte Warnung. Also beherzige sie.» Die Ratte will sich abwenden.
    «Warte!», sage ich. «Hast du mal ’ne Zigarette für mich?»

    Als das Schwarz sich in ein Dunkelgrau verwandelt, brauche ich eine Weile, um zu verstehen, dass ich durch meine halbgeschlossenen Lider luge. Ich öffne die Augen ein weiteres Stück, und das Dunkelgrau hellt sich auf. Ein Fenster. Ein großes Fenster. Mit hellen Vorhängen. Ich höre gedämpften Straßenlärm. Wo bin ich?
    Ich will meinen Kopf heben, aber der fühlt sich an wie ein mit Nadeln gefüllter Luftballon. Seltsamerweise hat der Ballon das Gewicht einer Bowlingkugel. Ich lasse meinen Kopf wieder ins Kissen sinken. Es scheint mir, als hätte ich ihn kaum einen Millimeter angehoben. Wo, zur Hölle, bin ich denn nur? Müde schließe ich wieder die Augen.
    Plötzlich schießt ein Bild durch meinen Kopf. Ich stehe in der Hotelbar am Piano. Ich trage Sweatshirt und Jogginghose, habe ein Mikrophon in der Hand und scheine zu singen. Der greise Pianist begleitet mich. Leider ist das Bild stumm. Deshalb weiß ich nicht, was ich singe.
    War das ein Traum? Oder habe ich gestern wirklich am Piano gestanden und irgendeinen Song vorgetragen? Das wäre mir ziemlich peinlich.
    Ich muss den Ton zum Bild finden. In den Tiefen meines Gehirns suche ich die fehlende Tonspur und hoffe inständig, dass meine Gesangsdarbietung nur die Reste eines seltsamen Traumes sind.
    Da ist er ja, der Ton. Ich schiebe den Regler hoch, und im gleichen Moment ist ein wahnsinnig schief singender Chor zu hören, der Happy Birthday intoniert. Man hört Klatschen und Johlen. Elisabeth sitzt lachend inmitten der Geschäftsleute, die mich anfeuern und nach Kräften gesanglich unterstützen. Der Kellner kommt nun mit einem großen Tablett Gläser und einer Magnumflasche Champagner ins Bild. Der Korken knallt.
    Im gleichen Moment reiße ich die Augen auf. Filmriss! Das Blut pocht gegen meine Schläfen. Ich hatte gestern einen Filmriss! Jesus Christus! Der Albtraum jedes Quartalssäufers ist auch für mich wahr geworden. Verdammt! Hätte ich doch auf die Ratte gehört!
    Okay. Nur die Ruhe. Ich habe Elisabeth in betrunkenem Zustand ein Geburtstagsständchen gesungen. Das war vermutlich ein bisschen peinlich, aber angesichts der guten Absicht auch wieder irgendwie nett. Jedenfalls muss sie mir das nicht zwangsläufig übel nehmen. Die Frage ist, ob ich noch weiteren Unfug angestellt habe.
    Angstvoll schließe ich erneut die Augen. Wieder stehe ich auf der Bühne, diesmal Arm in Arm mit dem Kerl, der wie Karl Marx aussieht. Die übrigen Gäste einschließlich Elisabeth umringen den Flügel. Überall stehen Drinks herum. Die Gesellschaft ist in Tabakqualm gehüllt. Karl Marx und ich sind sichtlich betrunken. Wir singen etwas, das entfernt an Ain’t no mountain high enough erinnert. Ich habe eine Zigarette in der Hand.
    Ich öffne die Augen und frage mich erstaunt, ob ich gestern tatsächlich geraucht habe. Ich versuche den Geschmack in meinen Mund zu identifizieren, aber ohne Erfolg. Ich atme tief ein, um

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