Was will man mehr (German Edition)
Entweder hat sie sich ihre Haare abschneiden lassen, oder ich habe sie bislang nur mit Perücke gesehen. Auf Mallorca trug sie jedenfalls passend zu ihren wallenden Kleidern wogende Hochsteckfrisuren. Irgendwie erinnert sie mich gerade an eine Schauspielerin, für die heute der letzte Vorhang gefallen ist. Sie hat Perücke und Kostüm der Garderobiere in die Hand gedrückt und sich abgeschminkt, als wäre dies ein ganz normaler Abend. Offenbar hat niemand daran gedacht, dass heute ihre Abschiedsvorstellung war. Nun nimmt sie allein einen Drink und schmeckt ihrem letzten Applaus nach.
«Guten Abend, Frau von Beuten.»
Sie blickt in meine Richtung und stutzt. Dann greift sie nach ihrem Handtäschchen, zieht daraus eine Brille hervor, setzt sie auf und betrachtet mich erneut.
«Oh, das ist ja mal eine Überraschung», sagt sie und wirkt tatsächlich bass erstaunt. «Guten Abend, Herr Dr. Schuberth. Was verschafft mir die Ehre?»
Sie mustert mich interessiert.
«Ihre Familie schickt mich. Sie haben sich seit Tagen nicht gemeldet.»
Elisabeth hat gar nicht zugehört, sondern ist immer noch in den Anblick meiner Beinkleider versunken.
«Tragen Sie da etwa eine Jogginghose?» Es klingt nicht abfällig, eher ungläubig.
«Ja. Ich hatte leider keine Gelegenheit, mich noch umzuziehen.»
«Sie überraschen mich immer wieder aufs Neue», sagt sie.
«Das freut mich», erwidere ich aufrichtig.
Sie nickt nachdenklich. «Soll ich Ihnen trotzdem ein Hemd und eine Hose kommen lassen?», fragt sie. «Die Leute werden denken, dass Sie hier Silberbesteck geklaut haben und nun den Ausgang nicht finden können.»
Elisabeths spitze Zunge hat also bislang nicht gelitten. Das ist beruhigend.
Ich schüttele den Kopf. «Danke. Sehr freundlich von Ihnen, gnädige Frau. Aber ich wollte ohnehin nicht lange bleiben.»
«Was sagten Sie noch, warum Sie hier sind?» Sie drückt ihre Zigarette aus, nimmt gleich eine neue aus der Packung. Ein Barkeeper, der bislang unsichtbar war, erscheint im schummrigen Licht. Ein Feuerzeug flammt auf. Elisabeth entzündet gemächlich ihre Zigarette und inhaliert. Der Barkeeper verschwindet so rasch, wie er gekommen ist.
«Iris hat mich angerufen. Sie macht sich Sorgen. Wie der Rest der Familie.»
«Um mich?» Wieder wirkt sie erstaunt. «Und ausgerechnet Sie sollen sich nach meinem Wohlbefinden erkundigen?»
Ich zucke mit den Schultern. «Außer mir war niemand so schnell verfügbar. Wenn es eine andere Lösung gegeben hätte, stünde hier jetzt sicher jemand mit richtigen Hosen.»
Ein fast unmerkliches Lächeln huscht über ihr Gesicht. «Hat Iris Ihnen etwa gesagt, dass ich morgen Geburtstag habe?»
Ich nicke.
«Verstehe. Und? Glauben Sie, dass ich imstande wäre, mir heute Nacht etwas anzutun? Denn darum geht es doch, oder? Meine Familie hat Angst, ich könnte mir das Leben nehmen, weil ich praktisch alles verloren habe. Meinen Mann. Meine Firma. Mein Geld.» Sie seufzt fast unmerklich. «Und ab morgen bin ich dann auch noch alt. Uralt, um genau zu sein.»
Wie üblich redet sie nicht lange um den heißen Brei herum.
«Achtzig ist doch kein Alter», lüge ich schamlos. «Japanische Wissenschaftler glauben, dass die Menschen bald eine Lebenserwartung von hundertfünfzig oder hundertsechzig Jahren haben werden. Stellen Sie sich das mal vor! Wer weiß, ob man mit achtzig dann überhaupt schon das Abitur in der Tasche hat.»
Sie wirkt amüsiert.
«Muss Ihre Familie sich Sorgen machen?», frage ich mit ernster Miene.
Sie sieht mich an und überlegt einen Moment. Dann klopft sie sachte auf die Lehne des neben ihr stehenden Barhockers. «Kommen Sie! Setzen Sie sich! Lassen Sie uns was trinken.»
Ich zögere. Gegen einen ordentlichen Drink hätte ich nichts einzuwenden. Und vermutlich sind die Drinks hier sogar sehr ordentlich. Leider dürfte mich ein einziges Glas in diesem Laden mehr als alle Bustickets der nächsten zwei Wochen kosten.
Elisabeth errät meine Gedanken. «Falls Sie sich Sorgen um die Bezahlung machen, die Drinks gehen auf mich. Immerhin habe ich gleich Geburtstag.»
Tja, wenn das so ist. Ich setze mich.
«Und sparen Sie bitte nicht am falschen Ende», fügt sie hinzu. «Ich weiß zwar nicht, ob ich finanziell noch einmal auf die Beine komme, aber Sie können sicher sein, dass ein paar Tage in diesem Hotel sich beim Kassensturz praktisch nicht bemerkbar machen werden.»
Ich überlege und schaue dabei eher zufällig auf ihren Drink.
«Gin-Fizz», sagt sie. «Ist hier sehr zu
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