Was will man mehr (German Edition)
empfehlen.»
Als ich nicke, gibt sie dem Kellner ein Zeichen, und wenig später habe ich einen Gin-Fizz vor mir stehen, der nicht nur perfekt aussieht, sondern auch so schmeckt. Ich habe schon länger keinen so guten Drink mehr in die Finger bekommen. Das Zeug geht runter wie Öl.
«Was wäre eigentlich gewesen, wenn Sie mich hier sturzbetrunken und hoch depressiv angetroffen hätten?», fragt sie.
«Ehrlich gesagt habe ich das für äußerst unwahrscheinlich gehalten.»
«Interessant», erwidert sie. «Dann glauben Sie also, ich könnte nicht über die Stränge schlagen?»
Eigentlich glaube ich genau das. Um ihr jedoch nicht zu nahezutreten, halte ich mit dieser Meinung hinterm Berg. «Als ich Sie kennengelernt habe, erschienen Sie mir vor allem sehr diszipliniert», sage ich diplomatisch.
«Aha», erwidert sie nachdenklich, greift nach ihren Zigaretten und hält mir die Packung hin.
«Danke. Hab es mir abgewöhnt.»
Sie zieht eine Zigarette hervor. «In Ihrem Alter habe ich überhaupt erst mit dem Rauchen angefangen.»
Sie lässt sich vom Barkeeper Feuer geben und ordert nebenbei noch zwei Drinks. «Ende der Sechziger habe ich es mal mit Kiffen probiert.»
Abrupt setzte ich mein Glas ab und sehe sie verwundert an.
«Nicht sehr lange. Ein paar Monate vielleicht», erklärt sie. «Am Ende des Krieges war ich siebzehn. Es gab kaum etwas zu essen, es gab kaum Wohnungen, und es gab kaum Freizeit. Männer gab es übrigens auch fast nicht mehr. Insgesamt keine sehr prickelnde Zeit. Also habe ich gedacht, ich könnte einen Teil meiner Jugend in den Swinging Sixties nachholen.»
«Klingt nach klassischer Midlife-Crisis», werfe ich ein.
«Wahrscheinlich. Obwohl wir damals den Begriff noch gar nicht kannten. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt praktisch nie an mich gedacht. Als mein Vater starb, habe ich ganz selbstverständlich seine Firma übernommen, weil niemand da war, der das sonst hätte tun können. Nebenbei hab ich noch zwei Kinder geboren und aufgezogen und einen Mann unterstützt, der von einer Schauspielkarriere träumte.»
Ich schaue mich unauffällig nach einer Uhr um. Sieht ganz danach aus, dass Elisabeth von Beuten mir ihre Lebensgeschichte erzählen möchte. Das kann nicht nur eine Weile dauern, es ist auch ein hoher Preis für den Erfolg meiner Mission. Vielleicht sollte ich mich einfach besaufen.
«Hat es denn geklappt?», frage ich.
«Hat was geklappt?»
Wie ich schon geahnt habe, gibt es keine Uhr. Casinos und Bars haben selten Uhren. Die Gäste sollen schließlich nicht daran erinnert werden, dass morgen auch noch ein Tag ist.
«Na, haben Sie in den Swinging Sixties Ihre Jugend nachholen können?»
«Selbstverständlich nicht», erwidert sie und kippt ihren halben Gin-Fizz in einem Zug. «Wenn Dinge vorbei sind, dann sind sie unwiederbringlich vorbei. Egal, ob es sich um Beziehungen, Regierungen oder Epochen handelt. Wer glaubt, er könnte im Leben nachholen, was er verpasst hat, der irrt sich gewaltig.»
Ich habe zwar schon etwas Gin-Fizz intus, kann aber trotzdem noch glasklar erkennen, dass diese Theorie großer Quatsch ist.
«Eine Menge Menschen bekommen eine zweite Chance», gebe ich zu bedenken und frage mich, ob ich da gerade ein klein wenig gelallt habe.
Sie sieht mich an und überlegt. Dann schiebt sie ihr leeres Glas zur Seite und lächelt breit. «Gehört das jetzt zu Ihrem Motivationsprogramm?», fragt sie. «Wollen Sie mir wirklich einreden, dass ich in meinem Alter noch ein neues Leben anfangen kann?»
«Warum nicht?», erwidere ich leichthin. «Wer weiß schon, was die Zukunft bringt? Ob man Glück oder Pech hat, liegt nicht daran, ob man achtzehn oder achtzig ist. Jedenfalls bin ich sicher, dass das Leben nicht nur aus ersten, unwiederbringlichen Chancen besteht.»
Sie gibt dem Kellner beiläufig ein Zeichen, beugt sich dann zu mir herüber.
«Einverstanden, lieber Herr Dr. Schuberth, dann nennen Sie mir doch mal ein paar gute Gründe, warum man am Leben bleiben sollte.»
«Ich dachte, diese Diskussion hätten wir schon hinter uns», erwidere ich locker und bin nun ziemlich sicher, dass meine Artikulation nicht mehr ganz fehlerfrei ist.
«Keine Sorge», sagt sie. «Ich werde bestimmt keine Dummheiten machen. Mich würde nur interessieren, welche guten Gründe Sie haben, sich keine Kugel in den Kopf zu jagen.»
Der Barkeeper stellt zwei frische Gin-Fizz auf den Tresen. Ich spüre nun zunehmend den Alkohol. Es ist ein wohliges Gefühl. Ganz so, als würde man
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