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Was will man mehr (German Edition)

Was will man mehr (German Edition)

Titel: Was will man mehr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Rath
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vorsichtig in Watte eingepackt werden. Wie ein kostbarer Kunstgegenstand oder ein archäologisch bedeutendes Fundstück.
    «Ich kenne sogar für uns beide einen guten Grund, um am Leben zu bleiben», sage ich und ernte einen interessierten Blick. «Ihre Enkelin ist Mutter geworden. Ich habe also einen Sohn. Und Sie haben jetzt einen Urenkel.»
    Elisabeth hebt den Kopf. Sie wirkt leicht erschrocken. Aber auch zutiefst gerührt. Ich glaube, ich habe sie nie zuvor derart fassungslos gesehen.
    «Meine Mailbox ist bis oben hin voll mit besorgten Anrufen meiner Familie», erwidert sie unwirsch. «Allen möglichen Quatsch hat man mir draufgesprochen, aber die wirklich wichtigen Dinge erfahre ich nicht.» Sie dreht sich ein wenig zur Seite, als suche sie etwas in ihrem Handtäschchen. Tatsächlich wischt sie sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.
    «Audrey wollte Sie überraschen», erkläre ich. «Ich hatte die Aufgabe, Sie in das Büro dieser Organisation zu bringen, für die Audrey Fotos machen sollte. Die haben nämlich Kontakt zu ihr und …» Ich unterbreche mich, weil ich merke, dass ich mich verzettele. «Na ja. Ist ja jetzt auch egal», beende ich meine wirren Ausführungen.
    Elisabeth hat sich wieder gefasst. «Genau», sagt sie, erhebt ihr Glas und wartet, bis ich das Gleiche tue.
    «Also dann. Auf das neue Leben.» Sie freut sich sichtlich.
    Wir prosten und trinken.
    Sie stellt ihr Glas zurück auf den weißen Papieruntersetzer. «So. Und da wir auf diese Weise nun einen gemeinsamen Verwandten haben, werden wir uns ab jetzt duzen», ordnet sie zielsicher an.
    «Gern», erwidere ich angeheitert. «Wie soll ich dich nennen? Oma, Omi oder doch lieber Großmutter?»
    Sie straft mich mit einem bösen Blick.
    «’tschuldigung», nuschele ich.
    Sie winkt nachlässig ab, nippt an ihrem Drink. «Warum bist du eigentlich nicht bei Frau und Kind?», will sie wissen. «Du solltest diesen Abend nicht mit einer alten Dame verplempern, sondern bei deiner Familie verbringen. Wo sind die beiden überhaupt?»
    «Im Kongo», erwidere ich.
    Elisabeth führt überrascht die Hand zum Ohr, als hätte sie mich nicht richtig verstanden. Der Barkeeper versteht das als Zeichen, noch zwei Gin-Fizz zu mischen.
    «Du hast richtig gehört. Ist eine lange Geschichte», höre ich mich sagen.
    «Glücklicherweise habe ich ein bisschen Zeit», erwidert sie.
    Zeit. Mein Stichwort. Wie spät mag es sein? Wenn Elisabeth mich schon zu Dutzenden Gin-Fizz einlädt, dann möchte ich ihr wenigstens pünktlich zum Geburtstag gratulieren.
    Von ferne höre ich, wie der Pianist You go to my head anspielt. Im gleichen Moment stellt der Barkeeper zwei frische Drinks neben unsere noch nicht einmal zur Hälfte geleerten Gläser. Ich wende mich zum Piano und sehe, dass der greise Solist eine Uhr trägt. Leider könnte ich sie von hier aus selbst dann nicht entziffern, wenn er seine Hände still halten würde. Mein Blick wandert über das auf Hochglanz polierte Instrument. Der Flügel strahlt in einem satten und tiefen Schwarz. Für einen Moment befürchte ich, von diesem makellosen Schwarz derart magisch angezogen zu werden, dass ich auf der Stelle einschlafe. Der Alkohol rauscht durch meine Adern.
    Ich hätte wenigstens eine Kleinigkeit essen sollen, denke ich. Ich drehe mich wieder zur Theke und greife nach dem Knabberzeug. Gleich bin ich wieder voll da, nur rasch ein paar Cracker und einmal tief durchatmen.
    Ich spüre, dass die Aktion, mich in Watte zu packen, Fortschritte macht. Mein Kopf wird gerade großzügig gepolstert. Die Geräusche werden leiser und klingen dumpfer. Gleichzeitig lässt jemand einen Schleier auf mein Gesicht fallen. Die Dinge um mich herum verwandeln sich in Schemen.
    Der Barkeeper stellt ein weiteres Glas auf die Theke. Es ist ein rötlich schimmernder Longdrink. «Bitte sehr. Geht aufs Haus, Sir.»
    Ich betrachte den Drink und will den Barkeeper fragen, was er mir da serviert hat. Doch der Kerl ist bereits wieder auf der anderen Seite der Theke beschäftigt.
    «Das ist ein Pussy Foot», erklärt Elisabeth. «Alkoholfrei. Wird hier offenbar an Leute ausgeschenkt, die Gin nicht ganz so gut vertragen.»
    «Erst will der Türsteher mich wegjagen, und dann serviert mir der Barkeeper Limonade. Die Leute hier haben wirklich Humor.»
    Elisabeth nickt. «Britischen, obendrein.»
    Wieder greife ich nach dem Knabberzeug. Okay, ich bin offenbar ein wenig angetrunken. Kein Problem. Ich muss nur kurz mal frische Luft schnappen.

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