Was will man mehr (German Edition)
Alles, was einen Tag vor Weihnachten noch in den Regalen lag, machte keinen besonders festlichen Eindruck. Tom, der Feinkosthändler, der seinem Vater beharrlich verschweigt, dass das Familienunternehmen kurz vor der Pleite steht, half mir aus der Bredouille. Jetzt haben wir zwei Enten aus dem französischen Challans, die sich nicht nur vorbildlich ernährt, sondern auch viel Sport getrieben haben. Wenn man Tom reden hört, kann man sogar den Eindruck gewinnen, seine Enten hätten regelrecht auf das Weihnachtsfest hingefiebert und wären sehr dankbar dafür, noch in letzter Minute nominiert worden zu sein. Irgendwie muss Tom ja auch seine exorbitanten Preise rechtfertigen. Glücklicherweise kann ich die Enten bis zum Sommer bei ihm abstottern.
Um die Zubereitung der exquisiten Vögel kümmere ich mich persönlich. Seit Stunden bin ich mit den Vorbereitungen beschäftigt, während Timothy am Kamin im Wohnzimmer den Rest der Familie unterhält. Ab und zu höre ich Gelächter und Gläserklirren, untermalt von leiser Weihnachtsmusik. Schamski wollte mir in der Küche Gesellschaft leisten, aber ich habe ihn wieder zu den anderen geschickt. Er soll den Abend mit Melissa verbringen. Außerdem werde ich ja gleich ebenfalls dazukommen.
Die Tür öffnet sich, und Audrey erscheint.
«Stör ich?», fragt sie. «Oder hast du ein paar Minuten?»
Ich bin erfreut. «Nein, du störst nicht. Komm rein! Setz dich.»
Sie lehnt sich gegen die Anrichte, stellt ihr halbvolles Sektglas neben sich und stützt die Hände auf. «Danke, ich hab die ganze Zeit gesessen.»
«Okay», erwidere ich. «Was kann ich für dich tun?»
Sie wirkt irritiert. «Du wolltest doch mit mir reden. Wenn ich das richtig im Kopf habe, schon vorgestern.»
«Stimmt», sage ich. «Aber das muss ja nicht jetzt sein. Ich wollte das in Ruhe machen. Ist vielleicht gerade heute ein bisschen schlecht.»
«Wieso das?», fragt sie verdutzt. «Die anderen unterhalten sich. Und bis zum Essen haben wir noch etwas Zeit. Oder?»
Ich sehe sie an und überlege. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Vorstellung, jetzt ein Krisengespräch zu führen. Außerdem ist fraglich, ob die knappe Viertelstunde, die der Braten noch braucht, auch nur ansatzweise ausreicht, um unsere Probleme zu erörtern.
«Lass uns morgen darüber reden», schlage ich vor und versuche möglichst locker zu klingen. «Vielleicht machen wir einen Spaziergang. Nur wir beide mit Jona.» Ich beiße mir auf die Unterlippe. Der inoffizielle Name meines Sohnes ist mir so rausgerutscht. Hoffentlich hat Audrey das überhört.
«Jona? Du nennst unseren Sohn Jona?» Sie klingt alarmiert.
«Das ist doch nur eine Kurzform», spiele ich die Sache herunter. «Dragijonarah ist manchmal ein bisschen lang. Deswegen dachte ich …» Ich spare mir weitere Ausführungen, weil ich Audrey ansehen kann, dass ihr meine Erklärungen sowieso gleichgültig sind.
«Paul, was soll das?» Sie hat nun einen entschlossenen, fast harten Gesichtsausdruck. «Warum stellst du dich ständig gegen mich?»
«Ich tue … was?», frage ich entgeistert. «Ich habe unserem Sohn einen Kosenamen gegeben. Mehr nicht. Das wird ihm später noch öfter passieren.»
Sie sieht mich unbeweglich an. Ich kann nicht einschätzen, ob sie nachdenkt oder ob ihr meine Reaktion missfällt. Ich befürchte Letzteres.
«Gut», sagt sie nach kurzem Überlegen und nimmt ihr Glas. «Wenn du nicht über unsere Probleme reden willst, dann müssen wir uns eben etwas anderes einfallen lassen.» Sie setzt sich an den Tisch und wählt den Platz mir direkt gegenüber. «Hast du einen Vorschlag, wie es weitergehen soll?»
Sie wartet. Ich weiß nicht, ob mich ihr Ton abschreckt oder ob ich ausgerechnet heute ein besonders ausgeprägtes Harmoniebedürfnis habe. Jedenfalls sträubt sich alles in mir dagegen, ausgerechnet am Heiligabend prekäre Familienfragen zu diskutieren. Ich sehe sie schweigend an.
«Du willst also nicht reden», stellt sie sichtlich pikiert fest.
«Doch!», erwidere ich nachdrücklich. «Ich möchte sehr gerne mit dir reden. Wirklich. Ich finde nur, dass wir vielleicht heute Abend keine Probleme wälzen sollten. Immerhin ist Weihnachten.» Ich versuche ein weihnachtliches Gesicht zu machen, um meine friedlichen Absichten zu unterstreichen.
«Du hast also Probleme mit mir», stellt Audrey messerscharf fest.
So eine ähnliche Reaktion habe ich erwartet. Kein Mann kann einer Frau ausweichen, die Streit sucht.
Ich überlege noch, ob ich auf Angriff
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