Was will man mehr (German Edition)
Ich hoffe deshalb, dass ich im Archiv untertauchen kann, wo sich gewöhnlich Kram stapelt, den keiner mehr braucht und für dessen Entsorgung sich niemand verantwortlich fühlt. Vorausgesetzt, Timothy hatte noch keine Gelegenheit, einen Entrümpler zu beauftragen.
Ich habe Glück. Während ich das «Pling» des Fahrstuhls höre, zwänge ich mich hinter einen Stapel Kartons mit alten Zeitungsausgaben. Hier bin ich zwar nicht völlig in Sicherheit, aber einigermaßen.
«… ist jetzt nicht wichtig. Ich meine ja nur, wir hätten ihn auch am späten Nachmittag anrufen können», sagt Timothy, während das leise Rumoren der Fahrstuhltür zu hören ist, gefolgt von Schritten im Flur.
«Mein lieber Schwiegersohn, da bin ich aber ganz anderer Meinung», erwidert Konstantin. Er klingt äußerst pikiert.
Mit Unbehagen stelle ich fest, dass die Tür zum Flur nicht richtig geschlossen ist. Durch den Spalt kann ich Konstantin erkennen, der nun abrupt stehen bleibt. Ich ducke mich instinktiv.
«Wenn in einer halben Stunde in Tokio der Tag beginnt, dann möchte ich einer der ersten Geschäftsfreunde sein, die MrKayama zum Geburtstag gratulieren», fährt Konstantin fort. «Das ist eine Frage der Wertschätzung. Außerdem wollen wir Geld von den Asiaten und nicht umgekehrt.»
Ich muss grinsen. Konstantins Faible für gehobene Umgangsformen scheint inzwischen seltsame Blüten zu treiben. Damit hat er auch schon mich auf die Palme gebracht.
«Ich fürchte, angesichts der neuesten Entwicklungen sind wir sowieso nicht länger attraktiv für MrKayama», erwidert Timothy leise.
«Was soll das heißen?», fragt Konstantin.
Gespannt warte ich auf Timothys Reaktion, aber der schweigt.
Ich wage einen Blick in Richtung Türspalt, um zu sehen, was draußen vor sich geht, kann aber nur Timothys Rücken sehen.
«Danke für Ihre Hilfe. Aber ich glaube, Sie können jetzt wieder gehen. Falls noch etwas sein sollte, melden wir uns», höre ich nun Konstantin sagen.
Ich stutze. Wen meint er denn?
«Gern. Wir wollten sowieso gerade mit unserer Runde beginnen», höre ich nun eine fremde Stimme sagen, und eine andere, mir ebenfalls unbekannte Stimme fügt hinzu: «Genau. Wollten wir sowieso gerade.»
Während Schritte zu hören sind, wird mir klar, dass Konstantin die Wachleute freundlich hinauskomplimentiert hat, um mit Timothy ungestört reden zu können. Ein leises Quietschen verrät, dass die Tür zum Treppenhaus geöffnet und gleich danach wieder geschlossen wird.
«Was ist denn passiert?», will Konstantin wissen.
«Die Druckerei hat kurz vor Weihnachten eingelenkt. Ich hab das Geld schon transferiert», erwidert Timothy. «Knapp eine Million Euro. Damit dürften wir eine Insolvenz abgewendet haben. Andererseits bleibt von der Firma kaum etwas übrig, was für Kayama interessant sein könnte.»
«Warum hast du mir das nicht gesagt?», fragt Konstantin.
«Du warst im kanadischen Schneesturm ein bisschen schlecht zu erreichen. Außerdem hatten wir ja längst beschlossen, dass wir zahlen würden, wenn sich die Forderung der Druckerei auf nicht mehr als drei Prozent des Vertragsvolumens beschränkt. Du erinnerst dich?»
«Ja, ich erinnere mich», erwidert Konstantin zerknirscht.
«Ich dachte eigentlich, das wäre eine gute Nachricht», bemerkt Timothy.
Schweigen. Timothy bewegt sich ein wenig zur Seite, und durch den Türspalt kann ich für einen Moment Konstantins ebenso nachdenkliches wie besorgtes Gesicht sehen. «Was bleibt uns am Ende?»
«Nicht viel», antwortet Timothy. «Dreißig-, vielleicht vierzigtausend. Aber das Cottage in London muss nicht verkauft werden. Und obendrein behält Elisabeth ihre Rente.»
«Siebenhundert Euro», bemerkt Konstantin, und es klingt fast spöttisch.
«Ich weiß, dass das eine Katastrophe ist. Mir geht es nicht anders. Ich habe auch alles verloren», erwidert Timothy. «Diese Krise hat einfach niemand kommen sehen. Wir können froh sein, dass überhaupt noch Geld da ist. Andererseits weiß ich, wenn die Familie zusammenhält, dann schaffen wir auch einen Neuanfang.»
Was für ein elender Heuchler, denke ich und sehe, dass Konstantin nach kurzem Zögern nickt und dann seinem Schwiegersohn anerkennend auf die Schulter klopft.
«Wir werden MrKayama jetzt reinen Wein einschenken», entscheidet Konstantin. «Wenn er danach immer noch investieren will, gut. Wenn nicht, auch gut.»
Die beiden setzen sich in Bewegung. Wenig später ist das Öffnen und Schließen einer Tür zu hören, dann
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