Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht
jemand, der vom Schicksal schwer geprüft wurde.
Wir erfahren, dass sie aus Bayern hierhergezogen sind – nach «Dunkel-Deutschland», wie sie sich ausdrücken. Eine mir noch
unbekannte Wortschöpfung für «ehemalige DDR» oder «neue Bundesländer» oder schlicht «Osten» und was es da an Nachwende-Wortschöpfungen
so gibt. Sie waren nach Brandenburg gekommen, weil die Tochter in Berlin studiert, Medizin. Auch die Frau Mutter war Ärztin,
Gefäßchirurgin, wie sie mit gerecktem Kinn betont; der Papa allerdings «nur Ingenieur». Seitenblick zum Gatten. Ich ahne,
der Mann hat’s auch nicht leicht. Ich frage ihn, welche Art Ingenieur denn, um ihm Auftrieb zu geben. Bevor er Luft holen
kann, antwortet sie für ihn:
«Ach, Elektro-», und winkt ab.
Den wohlverdienten Ruhestand, führt Frau Milhoff weiter aus, planten sie in Amerika in der Nähe der geliebten Tochter zu verbringen
und wollten nebenbei ein wenig Araberpferde züchten. «Nebenbei» – du liebe Güte, denke ich. Nun hat das Fräulein Tochter den
schönen Plan der beiden aber mächtig durchkreuzt, indem sie sich bösartigerweise in einen Künstler verliebte.
|48| «Ein ganz unmöglicher Mann», sagt Mama.
«Noch dazu Marokkaner», sagt Papa und schüttelt traurig den Kopf.
«Der geht
gar
nicht, dieser Mensch», stöhnt Mama, «und das habe ich meiner Tochter auch gesagt.»
Die Tochter wiederum fand natürlich diese elterliche Ablehnung ganz unmöglich (gutes Kind!), und nun sind sie verkracht. Um
die Pferde können sie sich auch nicht mehr so richtig kümmern: Der Mann ist krank geworden, die Frau depressiv.
«Weil, Anschluss findet man in Amerika ja auch nicht. Jedenfalls nicht an jemanden von gleichem Niveau», erklärt sie. «Die
kapseln sich ja völlig ein, diese Ossis. Nee, wissen Sie, wir haben die Schnauze voll von diesem Kaff.»
«Obwohl es ja schade ist», gelingt es ihm zu Wort zu kommen, «nachdem wir das Haus gerade so schön hergerichtet haben, nicht
wahr?» In der Tat: Sie haben es her-gerichtet, Scharfrichter, die sie sind.
Also, sie hätten sich jetzt ein Appartement beim Golfplatz in Wickelitz genommen, nicht wahr, tönt Frau Milhoff. Da hätten
sie ihre Ruhe und seien wieder unter zivilisierten Menschen.
«Übrigens», fragt Herr Milhoff, «das ganze Gartenwerkzeug brauchen wir ja jetzt nicht mehr. Sie, Herr und Frau Moor, Sie könnten
es gerne übernehmen, für, sagen wir, die Hälfte des Neukaufpreises?»
Nachdem wir ihnen versichert haben, dass wir selber Werkzeug besitzen, vereinbart man, dass ihre Pferde ein paar Wochen bleiben
können, bis sie verkauft sind, dass die Scheune bis dann und dann und der Keller bis dann und dann geräumt werden wird und,
ach ja, dass sie das Gartenwerkzeug trotzdem hierlassen, sie können es ja wirklich nicht brauchen, auf dem Golfgelände, nicht
wahr?
«Also, schönen Tag noch», und da rauschen sie ab und mit ihnen |49| die meisten der schönen und geschmackvollen Sachen, die noch im Hause waren. Es wird noch fast zwei Jahre dauern, bis der
Hof entmilhoffisiert ist, aber das weiß ich zum Glück noch nicht …
|50| Terminvereinbarung
Wir ziehen ein, wir erobern die Räume, wir schreiten sie ab, wir betanzen sie, wir besingen sie, wir reißen alle Fenster auf,
lassen Licht, Luft, Sonne rein.
WIR ÜBERNEHMEN DAS HAUS!
Die wenigen Möbel und die paar Kleider, mit denen Sonja sich nun begnügen muss, bis der dicke große Rest in zwei Monaten nachkommt,
wirken etwas verloren in den leeren, bunten Räumen. Aber es ist ein Anfang, und Sonja ist glücklich, wieder ein paar ihrer
Sachen um sich zu haben. Der Vorteil von wenig Einrichtung: Es ist schnell eingerichtet. Das Bett, klar, zur ruhigeren Seite,
zum offenen Feld hinaus, der Schreibtisch im Zimmer daneben wegen der Abendsonne, und Milhoffs ganzer ehemaliger Stolz, das
«Teezimmer» zu Straße hin, wird vorläufig zur Kleiderkammer.
Endlich holen wir die Katzen aus dem Keller. Zu fünft pirschen sie durch die Räume. Nö, ihre Laune bleibt schlecht. Morgen,
morgen, ihr Lieben, wartet das Abenteuer auf euch. Der Garten, die Bäume, die Hecken, die Pfuhle. Morgen, Geduld.
Ich schreite die Latifundien ab, umrunde die große Wiese. Das |51| Gras steht kniehoch. Aber es ist gelb verdorrt. Der trockenste Sommer seit Menschengedenken, haben sie im «Radio nur für Erwachsene»
gesagt. Kein Vergleich zu den saftigen Wiesen in den Schweizer Voralpen. Mir schwant, dass die Fläche, die mir
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