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Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht

Titel: Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Moor
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klingen zu lassen,
     ein «guten Tag» eben, das mir die Herzen der Biertrinker zufliegen lassen würde, ein Gruß, der sofort jedes Eis bräche, der
     jetzt und für immer klarmachen würde: Hier steht ein Mensch, öffne die Tür   …
    «Grüezi mitenand», rutscht es mir raus.
    Die Blicke schalten blitzartig auf Verwunderung. «Wat?»
    «Äh, ich meine guten Tag, die Herren», versuche ich zu retten.
    «Tach och», brummt es zurück. Und nachgeschoben: «Aber Herren sind wa keene.»
    «Na, da ist wohl das Österreichische mit mir durchgegangen», |118| tiriliere ich. «Dort sagt man auch ‹die Herren›, wenn es keine sind.» Hüstel, hüstel.
    «Sie sind doch aber Schweizer, haben wir gehört.»
    «Ja, aber lange in Wien gelebt und   …»
    «Ihre Frau ist Österreicherin, wissen wir. Die kennen wir nämlich schon.»
    «Äh, ja, schön. Äh, wir sind da drüben eingezogen   …»
    «Ist uns bekannt   …» Die wissen aber schon sehr gut Bescheid, die Jungs.
    Mir wird klar: Die paar Einkäufe meiner Sonja haben genügt, dass jeder, der sich auch nur in entfernter Umlaufbahn des Ladens
     befand, alles weiß, was Sonja preisgegeben hat, und vielleicht auch noch das ein oder andere mehr. Das dörfliche Buschtelefon
     und seine effiziente Funktionsweise sind mir schon von der Schweizer Provinz her bestens bekannt. Aber so begierig dort auch
     Tratsch gesammelt und weitergegeben wird, das Objekt des Getuschels würde niemals erfahren, dass getuschelt wurde. Wären die
     Terrassenmänner Schweizer, hätten sie einen auf ahnungslos gemacht: «Ach so, also Sie sind jetzt   … Aha, Ihre Frau ist   … Ja, da schau her, da drüben sind Sie jetzt, ja, was Sie nicht sagen, ahaahhhh   …»
    In Amerika wird offen dazu gestanden, dass jeder über jeden redet und dies auch jedem klar ist.
    «Prost!» Vier Bierflaschen werden in meine Richtung geschwenkt.
    In Ermangelung eines Getränks wedele ich unbeholfen mit der Hand: «Wohl bekomm’s, d   …!» – «die Herren» verschlucke ich gerade noch rechtzeitig.
    Die organisieren sich, nach einem kräftigen Zug aus den Flaschen, wieder in ihre angestammten Körperhaltungen und beachten
     mich nicht weiter. Erledigt.
    Neben der Ladentür hängt ein flacher, hölzerner Kasten mit |119| Glasscheibe. Darin, an die blaugestrichene Rückwand geklebt, Zettel und Zettelchen. Der nächste Gottesdienst findet in drei
     Wochen statt und wird von Pfarrer Soundso gefeiert, die Feuerwehr veranstaltet am Soundsovielten ihr jährliches Fest, Spenden
     für die Kinderweihnacht können jetzt schon   … und die Bürger-Sprechstunden von Bürgermeister Widdel sind immer mittwochs von 14 bis 16   Uhr im Clubhaus. Der Laden von Frau Widdel ist geöffnet von 8 bis 12   Uhr und von 15 bis 18   Uhr, sonnabends 8 bis 11   Uhr. Aha, die Ladenbesitzerin ist also zugleich die Bürgermeistersgattin.
    An den «Bild»-Aufstellreitern mit den neuesten unglaublichen Schlagzeilen vorbei – «Die Sex-Falle», «So schröpfen uns die
     Scheichs», «Ich kann nicht mehr! Aus nach 20   Jahren»– schreite ich zu der leicht verwitterten Naturholztür mit den kleingeblümten Milchglasscheiben. Die Eisenklinke leistet
     Widerstand, ich drücke stärker, etwas knirscht im Inneren des Türblattes, ein Spalt öffnet sich, und ich schiebe die Pforte
     zum Widdel-Reich entschlossen auf.
    Krachend donnert die nach innen schwingende Tür rechts in ein Zeitungsregal. Ich habe ihr Gewicht total überschätzt, das ist
     eine ganz normale Tür, ein wenig Holz, ein wenig Glas – fertig. Keine schweizerische Doppel-Sicherheits-querverleimte-Stahlkern-Brandschutz-«no
     entry»-«feel safe»-Bunkertür. Sondern eine ganz normale Tür-Tür.
    Lachen von den Jungs auf der Terrasse.
    Ich umrunde vorsichtig die offene Tür, um den Schaden, den ich angerichtet haben muss, zu begutachten. «Du bischt versichert,
     dir kann gar nichts passieren», beruhigt mich mein kleiner Schweizer. Trotzdem, zum Glück ist das Zeitungsregal aus gutem
     altem Krupp-Draht, der zwar empört gescheppert hat, aber heldenhafterweise nicht in sich zusammengebrochen ist. Ich trete
     näher heran und prüfe, ob die wertvollen Druck-Erzeugnisse nicht zu Schaden |120| gekommen sind. Doch die ganze bunte News-Welt liegt wohl aufgefächert vor mir: Super-Illu, Bild der Frau des Sports des Autos,
     Schlüsselloch, Beauty-Brigitte, Rätselfreund und Kreuzwort-Spaß, Freizeit- und andere Revuen, Tele-Fernseh-Media-Blätter,
     Boobs, Hooters und Gaby-Girl

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