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Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Was wir unseren Kindern in der Schule antun

Titel: Was wir unseren Kindern in der Schule antun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sanbine Czerny
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haben gemeinsame Gesprächszeit. Manchmal gibt es nichts zu besprechen, an anderen Tagen viel. Wenn es Schwierigkeiten gibt, dürfen die hier vorgetragen werden — allerdings ohne zu petzen. Statt Namen zu nennen, sagen Kinder beispielsweise: „Ein Junge hat …”, „Mich stört, dass ein paar Mädchen …“. Ich versuche, den Kindern deutlich zu machen und vorzuleben, dass ein Gespräch erst dann gut ist, wenn sich alle Beteiligten gut fühlen, und nicht dann, wenn lediglich der Mächtigere eine für sich akzeptable Lösung gefunden hat. „Gut ist es erst, wenn es für alle gut ist.“ Und nur weil ich Lehrerin und damit mächtiger bin, habe ich nicht das Recht dazu, mich über Kinder hinwegzusetzen. Macht bringt Verantwortung mit sich. Verantwortung, im Sinne dieser Kinder zu handeln.
    Oft haben die Kinder etwas von daheim mitgebracht, was sie gern zeigen möchten. Oder ein Kind stellt eine Frage, der wir nachgehen. So sind wir einmal über das Brauchtum und die Geschichte des Ortes auf die Salzstraßen, von da auf den Unterschied zwischen echtem Salz und Kochsalz, von hier wieder auf die Elemente in echtem Salz, auf die Moleküle und auf das Bohrsche Atommodell und schließlich zu der Erkenntnis
gekommen, dass Materie zu einem großen Teil Vakuum ist. Und darüber haben wir dann philosophiert. Kinder haben so tolle Ideen, wenn sie einfach frei denken und fragen können. Manchmal entbrennt eine Diskussion über das, was wir in den letzten Tagen gemeinsam gelernt haben. Von Quadrat und Rechteck kann man dann schnell mal bis zu den Körperformen und deren Volumeninhalten gelangen. Dinosaurier sind in fast jeder Klasse ein Thema, zu dem die Kinder auch gern und viel Material mitbringen. Wie ist die Erde entstanden? Warum sind die Dinosaurier ausgestorben? Warum haben die einen nur Fleisch, die anderen nur Pflanzen gefressen? Was sind heute die größten Tiere? Man kann vom Hundertsten ins Tausendste dabei kommen.
    Oder ein Kind bringt ein Ultraschallbild von seinem zukünftigen Geschwisterchen mit — sehr eindrücklich, was da alles für Fragen auftauchen. Und aus einer Frage ergibt sich die nächste. Wenn ich kann, helfe ich bei all diesen Fragen durch mein Vorwissen weiter. Sicher, manches verstehen Kinder nicht — aber das scheint nicht wichtig. Wichtig ist, dass ich ehrlich antworte und dass sie dadurch die Ahnung bekommen, dass es noch viel zu entdecken gibt. Manchmal suchen wir auch in Büchern oder im Internet, oder die Kinder forschen daheim weiter. Dann und wann stellen Kinder Fragen, die ich sowieso aufgrund des Lehrplans durchnehmen müsste. Wird das Thema in so einer Runde besprochen, haben die Kinder teilweise alle Lerninhalte in zwanzig Minuten aufgenommen, für die ich normalerweise mehrere Unterrichtsstunden einplanen müsste. Schade nur, dass ich vom Jahresplan her nicht so flexibel arbeiten kann, dass ich dieses Thema dann gleich aufgreife und vertiefe. Dabei wäre das optimal, da jetzt das Interesse der Kinder aus ihnen selbst heraus für ein Thema, beispielsweise den Igel oder die Temperaturmessung, da ist.
    Manche Fragen bleiben aber auch offen. „Wo fängt der Himmel an?“, fragte einmal ein Junge, dessen Mutter kurz vor der Einschulung gestorben war. Ein anderes Mädchen war überzeugt davon, dass sie fliegen lernen könnte — nicht mit einem Flugzeug, sondern so, wie sie war. Warum sollte ich ihr diesen
Traum nehmen, wer weiß, vielleicht denke ja ich nur zu begrenzt? Nur weil etwas jetzt gerade nicht in mein Weltbild passt, steht es mir nicht zu, mir selbst und anderen die Möglichkeit zu nehmen, dass es vielleicht noch mehr, noch anderes gibt? Wie schnell bringen wir Kindern bei, dass etwas so oder so ist, ohne es infrage zu stellen oder zumindest zu erwähnen, dass das der jetzige Stand der Wissenschaft ist, die derzeitige Vorstellung. Für manches, was wir heutzutage in der Schule lehren, gibt es ja jetzt schon widersprechende oder weiterführende Erkenntnisse. Ich bat das Mädchen lediglich, mir zu versprechen, immer nur vom Boden aus zu starten — da lachte sie und meinte: „Na klar, wenn ich von wo runterspringe, kann das ja böse enden.“ Ein anderes Mädchen fragte, ob sie ihrer Mutter die Wahrheit sagen solle, dass sie ihr Pausenbrot nicht isst, auch wenn ihre Mama dann mit ihr schimpft, oder ob sie es einfach wie immer wegwerfen

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